Grußwort: Heribert Prantl

Flüchtlinge flüchten, weil sie nicht krepieren wollen. Sie sind jung, und das Fernsehen lockt noch in dreckigsten Ecken der Elendsviertel mit Bildern aus der Welt des Überflusses. Noch bleiben 95 Prozent der Flüchtlinge in der Welt, die man die Dritte nennt. Diese Ausgeschlossenen aber drängen immer mehr an die Schaufenster, hinter denen die Reichen der Erde sitzen. Der Druck vor den Schaufenstern wird stärker werden. Ob uns dieser Druck, ob uns die Migration passt, ist nicht mehr die Frage. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Migration fragt nicht danach, ob die Deutschen ihr Grundgesetz geändert haben. Sie fragt nicht danach, ob sich EU-Staaten aus der Genfer Flüchtlingskonvention hinausschleichen. Die Migration ist da. Der Migrationsdruck wird das Thema dieses Jahrhunderts werden. Und das Schicksal des europäischen und des afrikanischen Kontinents wird sich darin entscheiden, ob der EU-Politik etwas anderes einfällt als die Mobilmachung gegen Flüchtlinge. Und die Menschenrechte werden nur dann Menschenrechte bleiben, wenn endlich die Erkenntnis wächst, dass auch Flüchtlinge Menschen sind, für die die Menschenrechte gelten.

Die EU muss damit aufhören, den neuen Eisernen Vorhang immer weiter auszubauen. Sie muss politisch Verfolgten wieder Schutz bieten, sie muss Zuwanderern eine quotierte Chance geben. Es bedarf gewaltiger friedenspolitischer Initiativen und gewaltiger Anstrengungen für die Opfer von Hunger und Not. Rigorose Flüchtlingsabwehr, wie sie die europäischen Länder praktizieren, ist ebenso inhuman wie aberwitzig: sie fördert nur den Irrglauben, Reichtum nicht teilen zu müssen. Der Kaiser, der in Max Frischs gleichnamigem Stück die chinesische Mauer bauen lässt, tut dies,„um die Zukunft zu verhindern“ – um also sein Weltbild nicht in Frage stellen zu müssen. Dieser chinesische Kaiser hat noch heute Minister.

Leistung soll sich wieder lohnen, sagen Politiker oft. Wenn das so ist, müsste man eigentlich den wenigen Flüchtlingen, die es noch nach Deutschland schaffen, schnell Asyl gewähren, den Afrikanern zumal. Es ist eine große Leistung, nach Deutschland zu fliehen – weil das eigentlich gar nicht mehr geht, weil davor eine Vielzahl größter Hindernisse steht: Visasperren, scharfe Grenzkontrollen, strengste gesetzliche Abwehrmechanismen. Wer es trotzdem schafft, hat seine gesetzlich angeordnete Illegalisierung faktisch durchbrochen und eine Belohnung verdient: seine Legalisierung.

(der ganze Artikel im PDF Format)