Das nenne ich privacy

Ein Interview von Marianne Walther und Antonio Vetinari

„Du lässt den anderen sein Leben leben. Das nenne ich privacy. Du lässt ihn sein Leben leben und gibst ihm dadurch privacy“

Das Gespräch mit Josef fand im April 2017 in München statt. Es wurde auf Englisch geführt und das Wort privacy bewusst nicht übersetzt, da es im Gegensatz zum Deutschen mehrere Facetten aufweist.

Die erste Nacht nach seiner Ankunft in Berlin verbrachte Josef in einem Hotel, die folgenden Tage konnte er bei Helfer*innen unterkommen. In Gregors WG wohnte er eine Woche, während der er in den endlosen Schlangen vor dem sogenannten LAGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) stehen musste. Nachdem ein Mitbewohner ausgezogen war, bezog Josef in der WG ein eigenes Zimmer und kochte in der gemeinsamen Küche. Zuhause einen Raum und Platz für sich, im Amt stundenlanges Warten, um schließlich vor unfreundlichen Beamten alles über sich preisgeben zu müssen. Diese entscheiden: Josef muss sich in zwei Tagen in München melden und aus der WG in Berlin in die sogenannte Bayernkaserne nach München ziehen, in der geflüchtete Menschen untergebracht werden.

Josef: Es war schlimm, so schlimm. Später merkte ich: Jedes Lager hat seine eigenen Regeln. In der Bayernkaserne ist es so: Wenn du einen Freund in München außerhalb des Lagers besuchen willst, kannst du nicht frei über deine Zeit entscheiden. Wenn du drei Mal nicht im Lager bist und sie dich bei der Anwesenheitskontrolle nicht antreffen, beginnt dein Asylverfahren wieder von vorn. Du musst wie anfangs nun erneut zur Registrierung gehen. Deshalb passt du lieber auf, dass du anwesend bist. Jeden Tag um 11 Uhr kommen sie vorbei, schreiben deinen Namen auf. ‚He Josef, bist du da?‘ ‚Ja, ich bin da.‘ ‚Okay, gut.‘ Jeden Tag sagen sie: ‚Du bist da, o.k.‘.

Konntest du dich denn in der Bayernkaserne mit Freund*innen treffen?

Josef: Besucher*innen sind nicht erlaubt. Wenn du einen Besucher hast, dann gehst du zum Tor, du redest mit deinem Freund außerhalb des Tores und dann muss er gehen. Das war’s. Weil sie alle durchchecken und von allen, die rein wollen, den Passierschein verlangen. Wenn du keinen Passierschein hast, dann darfst du nicht reingehen. Die Bayernkaserne ist groß, da sind so viele Kontrollpunkte, Schranken und Tore. Jedes Mal, wenn du ein Tor passierst, musst du deine Dokumente vorzeigen. Du darfst nicht einfach deinen Freund im nächsten Block besuchen. Dann wirst du gefragt, ‚Wo gehst du hin? Hast du eine Erlaubnis? Was willst du dort machen?‘ ‚Meinen Freund besuchen.‘ ‚Nein, das ist nicht erlaubt.‘ So musst du dich außerhalb des Tores mit deinem Freund treffen. Und dann sitzt du irgendwo draußen und redest über Privates.

(der ganze Artikel im PDF Format)