Zukunftsfähige Ungerechtigkeit

Von Tim Landauer

Zukunftsfähige Ungerechtigkeit

Warum Abschiebehaft kein Auslaufmodell ist und trotz des „Knaststerbens“ in Deutschland nicht von alleine verschwinden wird.

Am Abend des 2. Juli 2010 erhängte sich der 58-jährige Slawik C. mit dem Stromkabel eines Wasserkochers am Fenstergitter seiner Zelle in der Abschiebehaftanstalt Hannover-Langenhagen. Fünf Tage später hätte er in die armenische Hauptstadt Eriwan abgeschoben werden sollen, nachdem er elf Jahre lang in Jesteburg (Landkreis Harburg) gelebt hatte. Über ein Jahr später entschied das Bundesverfassungsgericht, dass seine Inhaftierung rechtswidrig gewesen ist. Slawik C. ist einer von mindestens 62 Opfern der Abschiebehaft in Deutschland seit 1993. Wie für viele andere endete für ihn die Flucht in ein als sicher geglaubtes Land mit dem Tod. Abschiebehaft ist nach wie vor ein unannehmbares Unrecht. Sie bedeutet für die von ihr betroffenen Menschen vielfach das Ende ihrer Hoffnungen und Pläne. Sie raubt ihnen ihre Würde, ihre Zukunft und nicht selten ihr Leben.

Knaststerben

Trotzdem (oder genau deswegen) wird Abschiebehaft in Deutschland immer noch tausendfach vollzogen. Die Zahl der Inhaftierten ist jedoch seit Ende der 1990er Jahre stetig gesunken. Infolgedessen sind auch die eigens für den Zweck der Abschiebehaft geschaffenen Justizvollzugsanstalten (JVA) heute oft unterbelegt. In Deutschlands größtem Abschiebeknast, der JVA Büren, war Mitte der 1990er Jahre Platz für bis zu 580 Gefangene, und nicht selten waren alle Zellen voll. Inzwischen wurde die JVA teilweise für Kurzzeitgefangene umgebaut und stellt noch 384 Haftplätze für Abschiebegefangene. Dabei ist sie nunmehr das einzige Abschiebegefängnis in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Nachdem bereits 2004 die Abschiebehaftanstalt Moers geschlossen worden war, wurde Ende 2011 auch das dritte Sondergefängnis NRWs, der Frauenabschiebeknast Neuss, aufgelöst und die weiblichen Häftlinge nach Büren verlegt. Bereits 2010 wurde außerdem die Abschiebehaftanstalt Rottenburg (Baden-Württemberg) abgewickelt und die Insassen nach Mannheim gebracht. In Rheinland-Pfalz soll der Abschiebeknast Ingelheim über kurz oder lang geschlossen und im Laufe des Jahres 2012 ein „neues Konzept“ zur Abschiebehaft erarbeitet werden, nachdem dort zu – letzt nur etwa 22 der 152 Haftplätze belegt waren.

Abschiebehaft als Auslaufmodell?

Die Abschiebehaft hat im Wesentlichen zwei unmittelbare Effekte: Sie sorgt dafür, dass staatliche Behörden einen direkten und absoluten Zugriff auf die inhaftierten Menschen und ihre „in Freiheit“ befindlichen Familienangehörigen haben, und sie schafft ein Klima der Angst durch die ständige Bedrohung durch Haft und anschließende Abschiebung. Dieses machtvolle Instrument werden sich die staatlichen Behörden nicht so einfach aus der Hand nehmen lassen. Zwar ist Abschiebehaft relativ teuer, die Kosten tragen jedoch – neben den Gefangenen selbst – die Bundesländer und nicht die einzelnen Ausländerbehörden, welche die Haft anordnen. Diese Effekte – unmittelbarer Zugriff und Klima der Angst – sind aus staatlicher Sicht weiterhin notwendig und sinnvoll. Dass in Deutschland faktisch weniger Menschen inhaftiert sind, hat mehrere Gründe: zum einen sind die Asylantragszahlen infolge des Schengener Abkommens und der militärischen Hochrüstung der EU-Außengrenzen kontinuierlich gesunken. Außerdem hat die EU-Osterweiterung dazu geführt, dass aus vormals Illegalisierten legale Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter geworden sind. Dazu kommt, dass viele Migrantinnen und Migranten im Rahmen von Dublin II in andere EU-Länder zurückgeschoben werden, was deutlich einfacher und schneller geht als Abschiebungen in die Herkunftsländer Südamerikas, Asiens oder Afrikas, und daher die Haftdauer für diese Menschen reduziert

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