Bittere Pille danach

Von Stephan Dünnwald

Bittere Pille danach

Nach der Abschiebung verloren lokale Flüchtlingsorganisationen in der Regel die Spur zu den Betroffenen. Abgeschobene standen vor dem „Nichts“. Doch Flüchtlingsorganisationen holen auf – wenn auch mit Verspätung. Ein Beitrag zur Globalisierung der Auseinandersetzung und für ein entschlossenes Nachfassen.

Vater und Kinder werden morgens um vier aus den Betten geholt und gewaltsam in einen Transporter gedrängt. Die Mutter, nach einem Suizidversuch wegen Abschiebedruck in stationärer Behandlung, holt ein weiteres Polizeiteam aus der Psychiatrie und verfrachtet sie in einen zweiten Transporter. Am Flughafen erleidet sie einen Zusammenbruch, als Beamte der Landespolizei sie zum Flugzeug schleifen wollen. Vater und Kinder müssen dies vom verschlossenen Transporter aus mit ansehen. Die Fluggesellschaft verweigert den Transport. Die Familie wird zurückgefahren in Richtung Unterkunft. Unterwegs wird umdisponiert. Die zentrale Rückführungsstelle beschließt einen weiteren Abschiebeversuch. Die Behörden chartern dafür extra eine Privatmaschine. Am Nachmittag wird die Familie einem Amtsrichter vorgeführt. Die Zeit drängt, die Abschiebefrist muss verlängert werden. Gegen Abend zerren Beamte die Familie in den Charterjet. Unter Bewachung und Begleitung durch einen Arzt wird sie nach Ljubljana geflogen und dort nachts den Behörden und einem Flughafenarzt übergeben.

So geschehen mit Familie Avdija und geschildert in der Geburtsnummer des Hinterland Magazins. Der Bayerische Flüchtlingsrat reiste der Familie hinterher, sprach mit den Eltern und den Kindern, organisierte und unterstützte die Betreuung der Familie vor Ort, und blieb eine Weile weiter in Kontakt.

Dies ist eine Ausnahme. Die Abschiebung bedeutete meist, dass der Kontakt zu Abgeschobenen abriss, dass sich Unterstützende anderen, dringenden Fällen zuwandten. Die Verhinderung von Abschiebungen wurde vielleicht auch mit solch verzweifelter Energie angegangen, weil mit der Abschiebung meist ein endgültiger Schnitt vollzogen war: nicht nur waren die Abgeschobenen gewaltsam ihrer mühselig aufgebauten Normalität entrissen und in einem anderen Land abgeladen worden; auch für Unterstützende war dies ein meist endgültiger Schnitt. Familienangehörige waren nicht bekannt, Mobiltelefonnummern funktionierten nicht, oft führte eine Inhaftierung der Abgeschobenen im Herkunftsland zum endgültigen Verlust der wenigen mitgenommenen Habe und zum Verschwinden des Menschen aus dem westlichen Blickfeld. Eine Rückkehr war unmöglich. Selbst in Fällen, wonach die Unrechtmäßigkeit einer Abschiebung gerichtlich festgestellt wurde, stellten sich Behörden so lange quer, bis die Kräfte derer, die sich um eine Rückkehr bemühten, erlahmt waren. Die Energie, die manche Behörden in Abschiebeprozeduren entfalteten, auch über die Grenzen der Legalität und der legitimen Gewaltanwendung hinaus, vermittelte bisweilen den Eindruck, dass eine vollzogene Abschiebung neben der behördlichen Prozedur auch eine starke Note persönlicher Befriedigung enthält.

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