Von Eins auf Neunhundert

Von eins auf neunhundert

Nach dem Willen der Bundesregierung wird auf dem Großflughafen Berlin-Schönefeld ein neues großes Internierungslager für das Flughafenverfahren gebaut. Die damit verbundenen politischen Absichten weisen weit über Berlin und Brandenburg hinaus.

Die Baugenehmigung ist da und die Fakten sind schnell erzählt: 550 qm Innenraum plus 500 qm Freiluftfläche, Kinderspielplatz, Gitterbewehrung und Dauerbewachung – hier werden ab Juni 2012 Flüchtlinge interniert, die auf dem Flughafen Schönefeld Asyl beantragen müssen, weil sie keine Papiere für eine normale Einreise haben.1 30 Plätze soll das Land Brandenburg vorhalten. Die Flüchtlinge werden hier festgehalten, bis das sogenannte Flughafenverfahren abgeschlossen ist. Gleich nach der Ankunft findet am Flughafen eine Befragung durch die Bundespolizei statt, danach die Anhörung beim Bundesamt. Zwei Tage später kommt die Entscheidung, ob die Einreise erlaubt oder der Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wird. Dann der Wettlauf mit der Zeit: innerhalb der nächsten drei Tage müssen ein Antrag auf Rechtsschutz und eine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht werden. Das Gericht muss innerhalb von 14 Tagen entscheiden. Entscheidet es negativ, setzt die Abschiebeprozedur ein: Die Bundespolizei sorgt für ein Abschiebeland und Reisedokumente. Das dauert manchmal Wochen. Nach 30 Tagen muss ein Haftantrag gestellt werden.

Nur wenige Flughafenverfahren

Flughafenverfahren werden seit 1993 durchgeführt. Sie sind Teil des „Asylkompromisses“, mit dem das Asylrecht zwar nicht aus dem Grundgesetz gestrichen aber so massiv eingeschränkt wurde, dass es faktisch nicht mehr existiert. Alle an die Bundesrepublik grenzenden Staaten wurden zu sicheren Drittstaaten und für die Durchführung der Asylverfahren zuständig erklärt. Flüchtlinge, die auf dem Landweg einreisen und im Grenzgebiet aufgegriffen werden, werden umgehend dorthin zurückgeschickt. Bleibt noch der Luftweg. Dafür wurde das Flughafenverfahren geschaffen: Internierung auf dem Gelände und Schnellverfahren mit schwindelerregend kurzen Fristen. Gleich nach der Gesetzesverabschiedung ordnete der damalige Innenminister, Rudolf Seiters, an, Internierungs- und Anhörungseinrichtungen auf den Flughäfen Berlin-Schönefeld, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg und München zu etablieren. „Ob weitere Flughäfen in Betracht kommen, muss die Entwicklung zeigen“, heißt es im Schreiben an die Landesregierungen. Bis heute sind keine weiteren Flughäfen dazu gekommen und die Flughafenverfahren machen nicht einmal zwei Prozent aller Asylverfahren aus. In BerlinSchönefeld etwa wurden seit 1993 ganze 47 Verfahren durchgeführt. Auch in München, Hamburg und Düsseldorf sind die Zahlen marginal. Nur in Frankfurt sieht es anders aus: Hohe Belegungszahlen, katastrophale Fehlentscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Selbsttötungen und Suizidversuche in der Transithaft sorgten regelmäßig für Schlagzeilen, bis auch hier Dank des Engagements von NGOs, politischer Aktivistinnen und Aktivisten und einer kritischen Öffentlichkeit die Häufigkeit der Einreiseverweigerung drastisch gesunken ist. Wozu also der Neubau in Schönefeld und wie kommt die Bundesregierung zu der absurd anmutenden Prognose von 300 Verfahren im Jahr auf einem Flughafen, auf dem in den letzten drei Jahren ein einziges Verfahren durchgeführt wurde?

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