Keine Gleichheit der Waffen

Von Dieter Müller

Keine Gleichheit der Waffen

Abschiebungshäftlinge stehen Richterinnen und Richter Behörden oft ohne Anwalt oder Anwältin gegenüber. Durch Rechtshilfefonds versuchen Hilfsorganisationen und Kirchen, diesem Mangel abzuhelfen. Die Resultate sind zwar quantitativ bescheiden, in der Qualität von Rechtsprechung und Behördenverhalten hat sich aber schon einiges geändert.

Abschiebungshäftlinge sind weder aufgrund einer Straftat noch zur Untersuchung einer solchen im Gefängnis. Diese simple Feststellung würden viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wohl nicht ohne weiteres unterschreiben. Vielmehr würden sie einwenden: Irgendetwas haben die aber doch sicherlich angestellt… Und auch bei der Anzahl der jährlich Betroffenen würden sie sich vermutlich irren: Einige hundert vielleicht…? Tatsächlich waren im vergangenen Jahr nach Schätzungen von Hilfsorganisationen und Kirchen 7.000 bis 8.000 Personen in Abschiebungshaft. Offizielle bundesweite Zahlen liegen nicht vor, sondern werden lediglich auf parlamentarische Anfrage mehr oder weniger genau erhoben. Letztmalig hat die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Jahre 2008 eine solche Anfrage gestellt. Die in der Antwort (Drucksache 16/11384) enthaltenen – allerdings nicht vollständigen – Zahlen beziehen sich auf die Jahre 2005-2007. Nimmt man für diese Zeit nun eine Größenordnung von jährlich 10.000 bis 11.000 Betroffenen an, so lässt sich ein Rückgang von rund 30 Prozent in den letzten fünf Jahren feststellen. Für Mai dieses Jahres werden nun neue Zahlen aufgrund einer Großen Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE erwartet.

Warum bin ich eigentlich hier eingesperrt?“ fragen Abschiebungshäftlinge

Bei Abschiebungshaft handelt es sich um eine reine Verwaltungsmaßnahme. Sie dient einzig der behördlichen Vorbereitung und Sicherstellung der Ausreise. Dennoch kann sie bis zu sechs Monate, im Extremfall sogar bis zu eineinhalb Jahre dauern. Erschwerend kommt hinzu, dass Abschiebungshaft in vielen Bundesländern noch immer in Justizvoll – zugsanstalten, in denen generell striktere Vollzugs – regelungen gelten als in speziellen Hafteinrichtungen, vollzogen wird (s. hierzu den Überblick über die Situation in Deutschlands Abschiebungshaftanstalten auf den Webseiten von Pro Asyl). Und das, obwohl eine seit Dezember 2010 gültige EU-Richtlinie, die sogenannte Rückführungsrichtlinie, unter Artikel 16 (1) vorschreibt, dass dies nur in Ausnahmefällen geschehen darf. Nämlich dann, wenn ein Mitgliedstaat über keine speziellen Einrichtungen für Abschiebungshäftlinge verfügt. Mit ihrer im November 2011 deutlich verspäteten Umsetzung der Richtlinie hat die Bundesregierung jedoch die Ausnahme zur Regel gemacht. Im neuen Paragraph 62a, Absatz 1 Aufenthaltsgesetz heißt es: „Sind spezielle Hafteinrichtungen im Land nicht vorhanden, kann sie [dienen und Richter in wenigen Fällen von sich aus eine Verfahrenspflegerin oder einen Verfahrenspfleger. Und für alle anderen Betroffenen gibt es die (theoretische) Möglichkeit, selbst Verfahrenskostenhilfe zu beantragen. Diese ist jedoch an Erfolgsaussichten gebunden, was dazu führt, dass ein Anwalt oder eine Anwältin erst umfangreich tätig werden muss, bevor die Bezahlung geklärt ist. Es ist verständlich, dass Anwältinnen und Anwälte sich auf ein solches Prozedere nur selten einlassen können. Fazit: die meisten Abschiebungshäftlinge stehen vor Gericht und gegenüber den Behörden alleine da, es herrscht keine „Gleichheit der Waffen“.

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