Win-Win nach Gaddafis Mustern

Von Christian Jakob

Win-Win nach Gaddafis Mustern

Unter Muammar al-Gaddafi ging man auf dem libyschen Festland und auf See rigoros gegen Migrantinnen und Migranten vor. Auch nach dem Sturz Gaddafis wird Libyen der EU als Türsteher zur Verfügung stehen.

Für Europa hat der libysche Rebell Muhamad Ben Dala großes Verständnis. „Der Westen war schlau. Er hat sich immer die Sieger als Verbündete ausgesucht, weil er eben seine Interessen schützen muss. Das können wir ihm nicht vorwerfen“, sagt der Chirurg. Im Februar kamen Muhamad Ben Dala und sein Freund Miftah Saeid nach Berlin. Im Aufstand hatten sie gegen Gaddafi gekämpft, Waffen geschmuggelt und in Lazaretten Verwundete versorgt. Jetzt stellten sie „Win or die“ vor, einen Film über ihre Revolution, die den Diktator Muammar alGaddafi im Vorjahr weggefegt hatte. Für subsaharische Flüchtlinge haben Ben Dala und Saeid weniger Verständnis. Auf die Frage, inwieweit das Libyen ohne Gaddafi auch mehr Freiheit für Transitmigrantinnen und -migranten bedeuten könnte, hatten sie eine klare Antwort: Auch das neue Regime werde der EU als Türsteher zur Verfügung stehen. Der Unterschied sei, dass nun das ganze libysche Volk von der Zusammenarbeit profitieren solle: „Was wir jetzt wollen, das ist eine Win-Win-Situation – für ganz Libyen und den Westen. Vorher hat nur Gaddafi gewonnen, wenn es Abkommen mit dem Westen gab.“

„Enge Kooperation“ zwischen Italien und dem libyschen Übergangsrat

Am 12. April, der Bürgerkrieg war da gerade acht Wochen alt, der Diktator sollte noch fast ein halbes Jahr im Amt bleiben, trafen sich in Brüssel die EUAußenminister. Es war die Zeit, in der Gaddafi aus Rache am Westen den Zugang zum Mittelmeer frei gegeben hatte. Immer wieder stachen, vor allem aus der Region um die Hafenstadt Misrata, meist voll besetzte Boote mit Papierlosen in See. Sie versuchten die Strände Maltas oder Italiens zu erreichen, die Preise für die Passage sanken auf einen Bruchteil der Tarife, die die Fluchthelferinnen und -helfer verlangt hatten, als Gaddafi die Küste noch dicht zu halten versuchte. Über 1.500 Menschen sind Schätzungen zufolge mindestens bei den Überfahrten gestorben, wahrscheinlich waren es noch deutlich mehr. Die EUAußenminister verabschiedeten eine Erklärung. „Angesichts der wachsenden Zahl von Flüchtlingen, die an ihren südlichen Küsten ankommen, ist die EU bereit, ihre Solidarität mit den Mitgliedstaaten, die von dieser Entwicklung am unmittelbarsten betroffen sind, konkret zum Ausdruck zu bringen“, heißt es darin. Schon Wochen zuvor hatten Italien und die EU-Grenzschutzagentur Frontex im zentralen Mittelmeerraum die gemeinsame Operation „Hermes 2011“ gestartet, um Italien dabei zu „unterstützen, die gegenwärtigen und mögliche künftige Migrationsströme aus Nordafrika zu bewältigen“. 14 Mitgliedstaaten stellten Personal oder technische Ausrüstung zur Verfügung. Doch die Erfolge reichten der EU nicht. Es gelang einigen Tausend Papierlosen, Lampedusa zu erreichen.

Für die Grenzschützerinnen und Grenzschützer war klar, dass eine derart effektive Abschottung, wie sie ihnen vorschwebte, nur möglich sein würde, wenn die Rebellen fortsetzten, was Gaddafi für die EU seit Jahren geleistet hatte: den Zugang zu den libyschen Küsten zu verschließen. Am 14. April, nur zwei Tage nach dem Ministertreffen, eröffnete EU-Außenkommissarin Catherine Ashton in Bengasi das erste Verbindungsbüro der EU. Die diplomatische Annäherung blieb nicht ohne Wirkung. Zwei Monate später, am 17. Juni, unterzeichneten der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats der Rebellen in Bengasi, Mahmud Dschibril, und der italienische Außenminister Franco Frattini in Neapel ein Abkommen zur „gegenseitigen Hilfe beim Flüchtlingsproblem“. Dieser sah einen „Informationsaustausch über illegale Migration und Schleuserbanden“ sowie die „Zusammenarbeit bei der Rückführung von Flüchtlingen“ vor. Die Übereinkunft zeige, „wie eng die Kooperation zwischen Italien und dem Übergangsrat sei“, sagte Frattini.

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