Samuels Reise

Von Birgit Neufert und Nils Baudisch

Die Flucht des Kindersoldaten aus Eritrea führte über viele Länder in eine Grauzone – das Kirchenasyl. Und das ist nun seine letzte Hoffnung.

Es ist Mai. Seit einem Jahr lebt Samuel in Lübeck im Kirchenasyl. Was heute wie Alltag anmutet, hat nur wenig Alltägliches an sich. Bis hierher waren es lange Wege für Samuel und die Kirchengemeinde. Von der Flucht aus Eritrea, durch den Sudan, durch die Sahara, nach Libyen, über das Mittelmeer, wieder Libyen, wieder Mittelmeer, bis Europa. Italien.

„Man brachte uns in das Aufnahmelager bei Catania auf Sizilien. Es war völlig überfüllt. Von mindestens drei oder vier Schiffen wurden alle Menschen dort hineingestopft – vielleicht 1000 insgesamt. Man vergab keine neuen Ausweise, die Zugang zu Essen, Getränken oder Schlafplätzen gewährleisteten. Man konnte sich nachts nur in der Cafeteria oder im Freien aufhalten“, sagt Samuel. Er lebte auf der Straße in Catania, ernährte sich von etwas Wasser und wildwachsenden Kaktusfeigen, die ihm Bauch- schmerzen und Hautausschlag am ganzen Körper bescherten. Medizinische Behandlung für diese Beschwerden gibt es nicht. Auch nicht für die Kriegsverletzungen aus Eritrea.

Das ist Europa. Während Menschen wie Samuel ihr Leben riskieren, um es bis hierher zu schaffen, beschäftigt die europäischen Staaten vor allem eine Frage: Wer ist zuständig? Während Geflüchtete in Italien, Spanien, Griechenland, Malta, Ungarn, Bulgarien oder Polen auf der Straße leben oder im Gefängnis, während sie Hunger oder fehlender medizinischer Versorgung und/oder Folter ausgesetzt sind, vermittelt Europa vor allem eines: Die Botschaft, dass niemand für diese Menschen verantwortlich sein will. Die Zuständigkeiten werden an die Ränder Europas verlagert. Im Vordergrund steht das Ziel, Menschen möglichst schnell wieder los zu werden und sie, bis das gelingt, in untragbaren Verhältnissen am Rande des Kontinents festzuhalten. Die dramatischen Folgen dieser Zuständigkeitsprüfung, in der die Aufnahme von Geflüchteten zum bloßen Verwal- tungsakt wird, tragen vor allem die ankommenden Menschen selbst.

Deutschland = Sicherheit?

Samuel ist einer von ihnen. Kaum 14 Jahre alt wird er in Eritrea zum Militärdienst gezwungen. Die nächsten zehn Jahre ist er Soldat. Aus Angst um sein Leben und weil er nicht selber auf Menschen schießen will, desertiert er immer wieder. Erfolglos. Viereinhalb Jahre verbringt er deshalb im Militärgefängnis, ohne dass er je einen Richter gesehen hätte, ohne zu wissen, was mit ihm passieren würde. Er ist nicht mehr sicher und beschließt zu fliehen – sicher im Glauben, es würde ihm in Europa besser ergehen. Aber in Italien angekommen, fürchtet Samuel erneut um sein Leben. Über Mailand schafft er es nach Deutschland und wähnt sich in Sicherheit.

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