Dublin: Ein System in der Krise

Von Aida Ibrahim und Bernd Kasparek

Die Verteilung von Flüchtlingen in der EU nach der Dublin-III-Verordnung funktioniert nicht mehr. Neue Ansätze oder ein Verfahren, das die Flüchtlinge in den Blick nimmt, sind nicht in Sicht.

Dublin, das Zuständigkeitssystem für Asylverfahren innerhalb der EU, steht schon länger unter Druck. An erster Stelle sind hier natürlich die Flüchtlinge zu nennen, die sich weigern, sich dem technokratischen System zu unterwerfen und sich immer wieder auf den Weg in einen
anderen EU-Mitgliedsstaat machen, um dort Aufnahme und Schutz zu suchen. Doch darüber hinaus gab es bisher auch eine starke Allianz von antirassistischen Initiativen, NGOs, Anwältinnen und Anwälten, europäischen Gerichten und Regierungen aus dem Süden der Europäischen Union, die eine tiefgreifende Reform Dublins forderten. Dies alles vor dem Hintergrund einer zunehmenden Dysfunktionalität des Dublin-Systems. Denn die tatsächlichen Überstellungsquoten sind mittlerweile im niedrigen zweistelligen Prozentbereich angekommen. Zudem ist es ein offenes Geheimnis, dass etwa Italien bestenfalls eine laxe Praxis der Registrierung von Fingerabdrücken in der EURODAC-Datenbank verfolgt, die das technische Herzstück des Dublin-Systems bildet. Folge ist, dass die nordeuropäischen Staaten, die dank Dublin jahrelang von historisch niedrigen Asylantragszahlen profitierten, mittlerweile einen rasanten Anstieg neuer Fälle verzeichnen. Damit stellt sich die Frage nach der Zukunft Dublins derzeit mit Vehemenz.

Diese Vehemenz wurde spätestens am 12. Juni 2015 spürbar. „Österreich stoppt neue Asylverfahren“ titelte die Süddeutsche Zeitung am 12.6.2015 und berichtete, dass die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner von der konservativen ÖVP die Asylbehörden angewiesen habe, neue Asylanträge zwar anzunehmen und zu registrieren, diese aber nicht weiter zu bearbeiten. Vielmehr solle sich das Behördenpersonal auf Rückführungen und Abschiebungen beschränken.

Diese gezielte Herbeiführung eines systemischen Mangels im österreichischen Asylsystem zielt selbstverständlich nicht auf ein Ausscheiden Österreichs aus dem Dublin-System ab. Vielmehr erklärt Mikl-Leitner, dass es ihr mit diesem Schritt darum geht, den Druck auf die anderen EU-Staaten zu erhöhen. Sie habe sich schon seit Langem für eine Quotenregelung anstelle des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens à la Dublin ausgesprochen. Diesbezüglich wird sie folgendermaßen zitiert: „Bisher gibt es nur einzelne Absichtserklärungen. Die bringen uns nicht weiter.“

Der Zusammenbruch der Grenzkontrollen im Mittelmeer bringt Dublin ins Wanken

Dabei bleibt zunächst offen, warum das Dublin-System gerade im Jahr 2015 in die Krise gerät. Die Effekte des Dublin-Systems auf Flüchtlinge und südliche EU-Mitgliedsstaaten sind schon viele Jahre bekannt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (hier vor allem die Fälle MSS und Tarakhel) wie auch das Dublin-Urteil des Europäischen Gerichtshofs mit ihren einschneidenden Konsequenzen für die Gesamtarchitektur Dublins wurden schon vor einiger Zeit gefällt. Eher jüngeren Datums ist die Novelle der Dublin-Verordnung (Dublin III), die am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Sie hat keine substanziellen Änderungen der dem System immanenten Logik gebracht. Schon der legislative Prozess war durch einen Konsens über die Beibehaltung des existierenden Systems geprägt.

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