Mehr als nur humanitär

Von Micha Brumlik

Mehr als nur humanitär

Das Recht auf Asyl ist der Kern von Recht und Rechtssicherheit.

A m 5. Januar dieses Jahres demonstrierten in Tel Aviv mehr als 30000 Flüchtlinge aus Eritrea, dem Sudan und Äthiopien gegen ein neues Gesetz der israelischen Regierung. Es ermöglicht der Polizei, Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern ohne Angabe von Gründen auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis zu stecken. Seit Monaten schon ist die israelische Innenpolitik mit der Frage befasst, wie sich das Land zu den afrikanischen Flüchtlingen verhalten soll. 2012 waren es annähernd 60000 Menschen, die ohne gültige Papiere via Ägypten über die Sinaiwüste in den Staat Israel gekommen waren, um dort Arbeit oder Asyl zu finden, um sich vor Hunger und Verfolgung zu retten.

Anders als im Südosten der USA und anders auch als im Fall der EU hat Israel bisher keine hermetische Sperrung seiner südwestlichen Grenze vorgenommen. Eine kleinere Zahl von Flüchtlingen hält sich in Eilat auf, während die Mehrheit in Tel Aviv lebt und dort immer wieder zum Anlass für fremdenfeindliche, rassistische Demonstrationen erboster AnwohnerInnen wird.

Auf die Frage „Hat Israel aufgrund seiner Geschichte eine größere Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen?“ hat der aus dem Sudan kommende Sprecher des African Refugee Center, der seit 2009 in Israel lebende Mutasim Ali, folgendes geantwortet: „Bestimmt. Viele Flüchtlinge haben sich für eine Flucht in den jüdischen Staat entschieden, weil sie davon ausgegangen sind, hier mit mehr Verständnis und Respekt behandelt zu werden als anderswo. Das ist nicht der Fall. Wenn Israel die Flüchtlinge nicht versteht, wer dann?“ Gleichwohl: Niemand im Westen, sei es in den USA oder in der EU mit ihrer Grenzschutzagentur Frontex und der mörderischen Wassergrenze, hat das moralische Recht, sich über die schäbige Behandlung der afrikanischen Flüchtlinge in Israel zu erheben.

Ursprünge humaner Flüchtlingspolitik

Gleichwohl ist der Konflikt in Israel beispielhaft, und zwar nicht nur deshalb, weil sich tausende jüdische Flüchtlinge aus Mitteleuropa in den Jahren bis 1938 vor dem Nationalsozialismus ins damalige Palästina retten konnten, auch nicht nur deshalb, weil dort nach 1948 hunderttausende Holocaustüberlebende eine neue Heimat gefunden haben. Der Konflikt ist vor allem auch deshalb beispielhaft, weil das mythische Gründungsereignis der jüdischen Religion, der Auszug aus Ägypten, eine Befreiungs- und Flüchtlingsgeschichte ist. Davon zeugt nicht nur die mosaische, wahrscheinlich im fünften vorchristlichen Jahrhundert kodifizierte sinaitische Weisung. Auch in der noch einmal dreihundert Jahre älteren prophetischen Verkündigung in 2. Mose 23,9 heißt es: „Einen Fremden sollst Du nicht quälen. Denn ihr wisst, wie dem Fremden zumute ist, seid ihr doch selbst Fremde gewesen im Lande Ägypten.“

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