Konzertreise durch Lagerland

Von Friedrich C. Burschel

Konzertreise durch Lagerland

In „Can’t be silent“ begleitet die Journalistin und Dokumentarfilmerin Julia Oelkers Musiker und Musikerinnen, die in Deutschland als Asylbewerberinnen und Asylbewerber leben müssen. Die gemeinsame Konzertreise durch Deutschland begann im Mai 2012. Ihr berührender Dokumentarfilm ist dabei ganz bei den „Refugees“. Er lässt ihren Geschichten viel Raum und setzt deren aussichtslose Lebenslagen zu dem Ausnahmeereignis Konzertreise in ein „Was wäre wenn?“-Verhältnis.

Was wäre wenn?

„Good things come to those who wait“ steht mit Edding auf einer Tür in der Asylunterkunft im badenwürttembergischen Reutlingen. Hier hat Sam vier lange Jahre lang gewohnt. Wer die lakonischen Bilder sieht, die die Regisseurin Julia Oelkers für ihren Film „Can’t be silent“ hier eingefangen hat, würde nicht eine Nacht dort bleiben wollen. Man kennt die gewalttätige Trostlosigkeit deutscher Flüchtlingslager und ist doch immer wieder von deren Wucht überrascht. Und viele gute Dinge sind Sam in der langen Zeit auch nicht widerfahren, wie der sarkastische Spruch an der Tür es verspricht. Nach wie vor ist der 29-jährige Gambier von der Abschiebung bedroht. Nur eine „gute Sache“ ist ihm in Deutschland begegnet: die Möglichkeit, mit einem Bandprojekt als Musiker auf Tournee zu gehen.

Der Bandleader Heinz Ratz kam auf diese Idee, nachdem er mit dem Fahrrad 80 Sammelunterkünfte für Asylsuchende in ganz Deutschland besucht hatte. Er traf unterwegs in den Lagern jede Menge begnadeter Musikerinnen und Musiker und hat sechs von ihnen für sein multinationales Tourprojekt „Strom & Wasser feat. The Refugees“ gewinnen können: Sam, MC Nuri Ismailov aus Dagestan, den Trommler Jaques Zamble bi Vie und den Sänger Revelino Mondehi – beide von der Elfenbeinküste – Hosain Amini, den afghanischen Rapper und die Hamburger BeatboxVirtuosin Olga.

Und die zweite „gute Sache“ war, dass diese bunte Band von Oelkers‘ Team und ihrem bewährten Kameramann Lars Maibaum begleitet werden konnte. Finanziert wurde der Dokumentarfilm hoch prekär aus Spenden, Zuschüssen und Crowdfunding. Daraus entstanden ist ein wunderschönes Roadmovie mit Protagonistinnen und Protagonisten, die zum Teil seit vielen Jahren in den Fängen des deutschen Asylverfahrens sitzen.

„Heinz hat uns gerettet“, sagt Jacques Zamble bi Vie. „Ohne dieses Projekt wäre ich immerzu nur im Lager, immer in Bramsche.“ Die seit langem angeprangerte „Residenzpflicht“, die den Musiker seit vier Jahren in diesem niedersächsischen Ort festhält, ist eine besonders perfide Besonderheit des deutschen Asylrechts. Für die Einheimischen mag das Leben in Bramsche/Hesepe erträglich sein. Für einen Flüchtling ist es ein Gefängnis. Nur mit Sondergenehmigung können die „Refugees“ auf die aufregende Reise mit Ratz‘ Band „Strom & Wasser“ gehen. Julia Oelkers begleitet die Tournee mit einem aufmerksamen und parteilichen Blick und nimmt sich viel Zeit für die erschütternden Lebensumstände der Geflüchteten, denen sie im Tourbus eine Zeit lang entkommen können.

(der ganze Artikel im PDF Format)