Im Wutbus nach Havanna
Von Ralf Kienzler
Im Wutbus nach Havanna
Europameisterschaft 2008 in Österreich und in der Schweiz. Und in Kuba. Denn dort bin ich und sehe mir das Spiel Deutschland gegen die Türkei an, zusammen mit einer Freundin. Es ist der erste Teil unseres Urlaubs: Jeden Tag Strand und schlecht gemixte Cocktails. Nach dem viertägigen Aufenthalt im Ferienressort Varadero soll es weitergehen nach Havanna. Oder sind es drei Tage? Egal.
Wir befinden uns im Gemeinschaftsraum des Hotels. Auf der Treppe nach oben sehen wir einen Kubaner, der ein Äffchen an einer Leine am Geländer festgebunden hat. Süß. Aber auch traurig. Ein Antagonismus. Der Kuba-Affe (Paralouatta varonai) ist seit etwa 6000 Jahren ausgestorben. Um einen solchen handelt es sich also nicht.
Wir verweilen, verfolgen das Spiel. Die deutsche Nationalmannschaft wird gewinnen. Wir nicht, wir werden das Spielende nicht mitbekommen. Aufgeregt spricht uns eine Person an. Wir sehen sie zum ersten Mal. Es ist die Reiseleiterin. Keine Ahnung, wie sie uns erkannt hat. „Der Bus wartet, seit über einer Stunde. Nur auf euch“, sagt sie. Es gehe weiter nach Havanna: „Jetzt!“ Verdammt, Abreise ist heute, nicht morgen. Wie konnten wir uns um einen ganzen Tag vertun? Aufbrechen, Koffer packen, Trinkgeld hinterlassen und ab. Zum Bus.
Wird man uns dort zujubeln? Unsere Freude teilen, trotz Verspätung dieser illustren Reisegruppe beiwohnen zu dürfen? „War eine lange Schlange vor der Eisbude oder habt ihr euch an der Strandpromenade verirrt?“, fragt ein älterer Herr hintersinnig. Wer das lustig findet, hat verloren. Es ist heiß. Dem Gepäck nach zu urteilen, scheinen die meisten Reisenden nur einen Kurztrip nach Havanna geplant zu haben. Nun wird er noch kürzer.
Weshalb gibt es in Bussen immer nur einen – schmalen – Durchgang? Laufstege sind Orte des Grauens. Erboste Blicke von beiden Seiten. „Es dauert seine Zeit, so gut auszusehen“, sage ich. Sage ich nicht. Ich blicke stattdessen auf den Boden und denke dabei an Comicfiguren, die kochen vor Wut. Mit knallroten Köpfen, schwarzen Wolken und Blitzen über ihren Häuptern. Davon ein ganzes Rudel in zwei symmetrisch angeordneten Sitzreihen vor mir. Der Weg erscheint unendlich lang. Ich möchte winken, wohlwollend nicken und mit dem Finger auf einzelne Personen zeigen. Endlich. Wir sitzen. Dann endlich. Wir sind am Ziel.
Die coolen Kids sitzen immer hinten im Bus. Dort ist noch niemand. Wir nehmen Platz.<