Freie Radikale

Von Christian Jakob

Freie Radikale

2013, in einer Zeit nie gekannter politischer Dynamik, trug eine Gruppe iranischer Flüchtlinge ihr „NonCitizens“-Konzept in die Öffentlichkeit. Vor allem nach der Umsetzung des Konzeptes bei antirassistischen Aktionen stieß es auf Kritik seitens der etablierten Flüchtlingsbewegung. Was bleibt von den Interventionen der „Non-Citizens“?

Als Kampfbegriff war er noch gut in Schuss, genau genommen sogar besser denn je: Als „Refugees“ waren sie angetreten, im Frühjahr 2012, zu Beginn des bis heute laufenden Zyklus von Flüchtlingskämpfen. Der Erfolg der sich dominoartig über ganz Deutschland ausbreitenden „Refugee Tent Action“ war enorm: Tagesschau, Twitter-Hashtag Hitliste, Spenden in sechsstelliger Höhe, Empfang im Bundestag. Die Flüchtlinge verweigerten sich kollektiv der Disziplinierung durch den Staat. Sie entkamen dem zermürbenden, monotonen Leben im Lager, der aufgezwungenen Isolation, und „höhlten rassistische Gesetze aus“, wie sie sagten. 20 Jahre nach dem „Asylkompromiss“ und 15 Jahre nachdem sich erste Flüchtlings-Selbstorganisationen zunächst in Ostdeutschland bildeten, wurde Flüchtlingspolitik ein Mainstream-Thema. Den Protestierenden war es endlich gelungen, die Kritik an der schikanösen Asylpolitik ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu tragen.

Und trotzdem: Etwas Neues sollte her. Im Februar 2013 lud der „Aktionskreis unabhängig protestierender Flüchtlinge“ zu einem Kongress nach München ein. Bei dem „Aktionskreis“ handelte es sich im Wesentlichen um eine Gruppe junger Iraner, die im Frühjahr 2012 in Franken die Protestwelle angestoßen hatten – unter anderem, indem sie mit zugenähten Mündern in einer Fußgängerzone demonstriert hatten und in einen Hungerstreik getreten waren, knapp zwei Monate nach dem Suizid des iranischen Flüchtlings Mohammad Rahsepar in der Würzburger Asylbewerberunterkunft. „Diese Ära unseres Kampfes begann mit einem kleinen Zelt in Würzburg und erwuchs zu einer großen Bewegung, die sich in ganz Europa ausbreitet“, schrieben sie. Nun sei es Zeit für „eine gemeinsame kritische Analyse“, die für die „Zukunft des Flüchtlingsprotestes unabdingbar“ sei.

Machtstrukturen klären

Die Analyse, freilich, hatten die Organisatoren schon vorab parat. In den Wochen vor dem Kongress veröffentlichten sie mehrere Stellungnahmen, in denen statt „Flüchtling“ der Begriff des „Nicht-Bürgers“ oder „Non-Citizen“ verwendet wurde. „In den elf Monaten unseres Kampfes haben wir eine Theorie entwickelt“, sagte damals Houmer Hedayatzadeh, ein Asylsuchender aus dem Iran, der von Anfang an beim Flüchtlings – streik dabei war. Ihr Kampf sei bestimmt durch „die Art des Lebens, das wir führen müssen“. Im Gegensatz zum Bürger seien Asylsuchende und Geduldete kein Teil der Gesellschaft. Sein Mitstreiter Ashkhan Khorasani nannte die Etablierung des Begriffs des „Nicht-Bürgers“ in einem Interview einen „ersten Schritt der Selbstermächtigung“. Mit ihm hätten die „Non-Citizens“ „ihre Verhältnisse analysiert“, der Begriff sei aus der „Praxis des Protests“ entstanden. Anders als „Refugee“ kläre er „die Machtstrukturen“, erläuterte Khorasani. Ein Refugee könne „ein Kapitalist sein, er kann Banken, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, oder er kann in einem abgelegenen Flüchtlingslager sitzen“. Zentral für die Situation der „Non-Citizens“ sei in einer bürgerlichen Gesellschaft der „Ausschluss aus dem Produktions-, Verteilungs- und Reproduktionssystem – und nicht unbedingt, Opfer von Rassismus zu sein“.

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