„Fahr weiter! Nicht zurück!“

Übersetzt und aufgeschrieben von Clara Taxis

Amir war Student in Damaskus, als die Situation in der Stadt immer bedrohlicher wurde. Schließlich beschloss er, in den Libanon einzureisen und von dort weiter nach Europa zu gelangen. Er beschreibt seinen Weg von Syrien nach Deutschland und wie er vom Studenten zum Flüchtling wurde.

Ein Zimmer in Izmir, Türkei. Es ist Ende April dieses Jahres. Ich sitze hier auf fünf Quadratmetern, es ist Tag drei in dieser Stadt und diesem Zimmer. In den anderen Zimmern sitzen Menschen wie ich, die meisten aus Syrien und dem Irak. Wir warten. Warten auf den Anruf unserer Kontaktperson, M. Er soll uns von hier nach Mitilini auf der griechischen Insel Lesbos bringen. Ich bin nervös, angespannt. Warten darauf, dass er uns anruft, um zu sagen: Es geht los!

Mein Name ist Amir. Ich bin 22 Jahre alt und komme aus Damaskus in Syrien. Aufgewachsen bin ich im Vorort Jobar mit meinen Eltern und meinen Geschwistern. Ich habe immer viel Fußball gespielt, am Anfang wollte ich sogar Profifußballer werden – bis mir klar wurde, dass das in meinem Land nur mit Korruption und besonderen Verbindungen zur oberen Schicht funktioniert. Ich besuchte das Gymnasium in Damaskus und schrieb mich nach meinem Abschluss 2009 an der Universität Damaskus für Englische Literatur ein. Englisch hat mich begeistert, ich wollte diese Sprache immer schon perfekt sprechen können.

2013 gründete ich mit Freunden eine Metal-Band. Es lief super, wir nahmen in einem Jahr ein Album auf. Als es fertig war, wurde der Konflikt im Land schlimmer. Wir bekamen ihn im täglichen Leben zu spüren. Es begann mit Schusswechseln und Scharfschützen, die sich in Gebäuden versteckt hielten. Irgendwann durfte man nach fünf Uhr nachmittags nicht mehr auf die Straße. Auch ich wurde manchmal in schlimme Situationen verwickelt, man ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Ernsthaft passiert ist mir nie etwas. Es gab allerdings Situationen, die mir klar gemacht haben, dass das nicht ewig so sein wird, wenn ich in Syrien bleibe. Ich wurde zum Beispiel gemeinsam mit einem Freund für knapp zwei Stunden als Geisel genommen. Wir wurden mit Kapuzen über dem Kopf in einen Transporter verfrachtet und irgendwo hingebracht. Der Grund war, dass die Gruppe eigene Geiseln befreien wollte, wir waren das Druckmittel. Am Ende wurden wir mit den Geiseln der Gruppe ausgetauscht und konnten wieder nach Hause. Wer genau die Leute waren, wissen wir bis heute nicht.

(der ganze Artikel im PDF Format)