Zwischen Identität und Solidarität

Von Lisa Doppler und Friederike Vorwergk

Zwischen Identität und Solidarität

Chancen und Hürden von Sprachpolitik in den Geflüchtetenprotesten.

Ein wichtiges Element von Protest ist ein kritischer Umgang mit Sprache und insbesondere mit Selbstbezeichnungen. Das ist auch den Geflüchteten in Sprechpositionen und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern bewusst. Zum Beispiel entflammte in den letzten Monaten eine Diskussion um das ,Non-Citizen’-Konzept und die damit einhergehenden Ein- und Ausschlüsse. So wie sich heute in der Bewegung mit Sprache im Widerstand und damit einhergehenden Konflikten auseinandergesetzt wird, befassten sich hiermit bereits der Sozialphilosoph Herbert Marcuse und der Soziologe Stuart Hall.

Geflüchtete als gesellschaftliche Randgruppe

Der Kritische Theoretiker Herbert Marcuse analysiert und beschreibt in den 1960er Jahren die Situation in den USA und geht der Frage nach den Möglichkeiten gesellschaftlicher Emanzipation nach. Die Feststellung, dass keine Revolution absehbar ist und große Teile der Arbeiterklasse weitestgehend in das System integriert sind, führt ihn zu einer Beschäftigung mit revoltierenden Randgruppen. Er nennt zum einen die nonkonformistische junge Intelligenz, vor allem Studierende, die aus politischem Bewusstsein und Ekel vor der Gesellschaft handele, zum anderen die schwarze Ghettobevölkerung, die aus für sie immer noch unerfüllten Bedürfnissen handele.1 Geflüchtete können als eine solche Randgruppe bezeichnet werden, da sie mit Lagerunterbringung, Residenz – pflicht oder Arbeitsverboten einer Reihe von Sondergesetzen unterworfen sind, die sie, ähnlich wie zu Marcuses Zeiten die Schwarzen in den USA, zu einer markierten und ökonomisch marginalisierten Gruppe machen.

Die eindimensionale Sprache…

Sprache ist bei Marcuse ein wichtiges Element zur Schaffung und Aufrechterhaltung der repressiven Ordnung. In seinem bekanntesten Werk, „Der eindimensionale Mensch“ (1967), beschreibt Marcuse Entwicklungen einer Sprache, die einer Vorstellung von Gesellschaft als unveränderbar Vorschub leistet: „Verkürzung des Begriffs in fixierten Bildern, […] Immunität gegen Widerspruch, Identifikation des Dings (und der Person) mit seiner Funktion – diese Tendenzen offenbaren den eindimensionalen Geist in der Sprache, die er spricht.“2

Diese funktionale Sprache drückt sich im eindimensionalen Diskurs zu Migration und Asyl in Wörtern aus, von denen hier einige beispielhaft in zwei fiktionalen Sätzen zusammengefügt sind: „Ein Asylbewerber in Deutschland wohnt in einer Landesaufnahmebehörde, wo er die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hat. Während seines Aufenthalts unterliegt er der Residenzpflicht und erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.“ Die Sätze lesen sich als unhinterfragbare Tatsachendarstellung, sie sind eindimensional. Dass hier von einem Menschen die Rede ist, der Sondergesetzen unterliegt, die seine Freiheiten einschränken, von Bewegungsverbot, der Überredung zur Rücknahme des Asylgesuchs bis hin zum Zwang in einer Sammelunterkunft zu leben, wird nur kritischen und in dem Thema gebildeten Leserinnen und Lesern bewusst. Sprache dient somit als Vehikel von Verschleierung und Unterordnung.

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