„Das müssten wir aber noch gendern“(
Von Annika Bontanni und Bernd Schmidt
„Das müssten wir aber noch gendern“
Die Hinterland-Redaktion hat sich vor einigen Jahren auf eine Form der gendergerechten Sprache geeinigt. Lange Diskussionen gingen dieser Entscheidung voraus. Doch auch heute sind nicht alle der gleichen Auffassung.
Mit der Gleichstellung von Mann und Frau sieht es in Deutschland weiterhin düster aus. Frauen verdienen im Schnitt über 20 Prozent weniger als Männer – das ist in fast keinem anderen Land der Europäischen Union der Fall. Laut „Global Gender Gap Report“ rutschte Deutschland in Gleichstellungsfragen zwischen 2007 und 2012 sogar vom siebten auf den 13. Platz der OECD-Länder ab. Aber nicht nur in gut bezahlten Jobs und in Aufsichtsräten, auch in der Sprache sind Frauen deutlich unterrepräsentiert.
Werden in einem Text ausschließlich männliche Personenbezeichnungen benutzt, obwohl auch Nichtmänner eine Rolle spielen, ist das zunächst einmal sehr ungenau. Denn es braucht nur ein männliches Individuum, um eine ganze Gruppe grammatikalisch mit einem generischen Maskulin zu beschreiben. Gesellt sich zu einer Schulklasse mit 30 Schülerinnen ein männlicher Schüler, ist demnach nicht mehr von „Schülerinnen“, sondern von „Schülern“ die Rede. Die 30 Schülerinnen werden mit dem Eintritt nur eines Schülers aus der Sprache verabschiedet. Es entsteht ein Zerrbild der realen Mehrheitsverhältnisse.
In diesem Zusammenhang ist immer wieder zu hören, dass bei männlichen Personenbezeichnungen mithin auch Frauen gemeint seien. Früher stand das auch gerne in einer Fußnote mit Verweis auf die „bessere Lesbarkeit“. Doch der Einwand geht an der Realität vorbei. In einer Umfrage wurde beispiels – weise zunächst nach erfolgreichen „Sportlern“ und danach nach erfolgreichen „Sportlern und Sportlerinnen“ gefragt. Das Ergebnis fiel sehr unterschiedlich aus; bei der zweiten Gruppe wurden erheblich mehr Frauen genannt. Und zahlreiche weitere empirische Studien1 konnten dieses Ergebnis nur bestätigen: Die maskuline Form wird überwiegend männlich interpretiert. Die sprachliche Einseitigkeit bewirkt eine kognitive Beschränkung. Ein neutrales generisches Maskulin mag es in der Theorie geben, aber nicht in den Köpfen.
Die Assoziationen sind entscheidend
Wenn von einer „preisgekrönten Forschergruppe“ zu lesen ist, erscheinen den Lesenden dann auch Frauen vor dem geistigen Auge? Wer wird hinter dem Türschild „Prof. Hügelmeier“ erwartet – ein Heinz oder eine Gerlinde? Kommt jemand auf die Idee, dass hinter der Beschreibung „ein Orchester mit hundert Musikern“ auch 99 Frauen stecken könnten? In der Regel nicht. Wenn Frauen mitgemeint sind, müssen sie auch benannt werden, zumal ungefähr die Hälfte der Menschen in Deutschland weiblich ist. Sie haben ein Recht darauf, nicht nur im Reallife, sondern auch auf dem Papier zu erscheinen. Und dies gilt natürlich für alle Texte und im Besonderen für die Rechtssprache. Denn gerade in Rechtsfragen kann eine Nichtnennung weitreichende Konsequenzen haben. In der Schweiz wurde lange Zeit kontextabhängig ausgelegt, ob Frauen vom Gesetz auch erfasst wurden: in der Schweiz waren Frauen bis zu einer (männlichen) Volksabstimmung im Jahr 1971 hinsichtlich des Wahlrechts keine „Bürger“ mit allen „aktiven Bürgerrechten“ – im Steuerrecht hingegen waren sie immer mitgemeint.