zitiert & kommentiert
Von Hubert Heinhold
„Abg. Ulrike Gote (Grüne): … Herr Dr. Gruber, nennen Sie doch mal ein kurzes Beispiel dafür, was konkret Sitte und Kultur ist und über das hinausgeht, was in Grundgesetz und Bayerischer Verfassung steht …
MD Dr. Markus Gruber (Sozialministerium): … Das bezieht sich auf Brauchtum und kulturelle Gepflogenheiten. …
Abg. Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): ... Welches Brauchtum meinen Sie denn? Welches bayeri- sche Brauchtum ist denn für Sie oder die Staatsregierung identitätsstiftend für Bayern? Welches Brauchtum, das schwäbische oder das fränkische oder das oberbayerische? … Was passiert eigentlich, wenn ein Schwede oder jemand anders hierherkommt und sagt: Ihr mit eurem Brauchtum könnt mich gern haben; ich akzeptiere das nicht, will das aber auch nicht praktizieren; das interessiert mich nicht; und außerdem halte ich das alles für Blödsinn, was ihr da macht.
MD Dr. Markus Gruber (Sozialministerium): ... Zu den verschiedenen schwäbischen, oberbayeri- schen usw. Brauchtümern: Es geht meiner Auffassung nach darum, überhaupt ein Gefühl dafür zu bekommen, dass es neben diesem Allgemeinen etwas anders gibt, das die Men- schen auch leben. Das ist in Oberbayern anders als in Schwaben. Es gibt etwas, das sich in der Kleidung und im Land ausdrückt, … Dafür ein Gefühl zu bekommen, ist eigentlich gemeint. … Das ist in jedem Dorf in Bayern anders.
Abg. Ulrike Gote (GRÜNE): Das ist doch Blödsinn, sorry, also ehrlich!“
(Wortprotokoll der Endberatung des Gesetzesentwurfs des Bayerischen Integrationsgesetzes im Rechts- und Verfassungsausschuss vom 29.11.16)
Man könnte es sich leicht machen und sich dem Einwurf der Abgeordneten Gote anschließen. Denn die Präambel des Bayerischen Integrationsgesetzes mit ihrem zentralen Begriff der Leitkultur besteht aus Geschwafel, das die 16-stündige Filibusterei bei der Verabschiedung des Gesetzes am 09./10.12.16 eigentlich nicht lohnt. Gleiches gilt für die konkreten Regelungen im Gesetz: Sie sind zum Teil zwar unverschämt und verfas- sungswidrig, aber von geringer Eingriffstiefe und bescheidener praktischer Relevanz. Da erstaunt es, dass sich ein breites Bündnis gegen dieses Gesetz formiert hat, das von Gewerkschaften, Kirchen, Oppositionsparteien, gesellschaftlichen Gruppen, Schulen und Kindergärten und ihren Verbänden, Kulturschaffenden und Ausländerorganisationen reicht. Die Reaktion auf diesen Protest zeigt den Grund für die seltene Einmütigkeit. Mit unverfrorener Arroganz haben CSU und Staatsregierung alle Einwände, selbst wohlmeinende Ratschläge, ignoriert und diesen „Werbeprospekt“ für potentielle AfD-Wähler durchgepeitscht. Der Machterhalt ist wichtiger als der Konsens einer offenen, demokratischen Gesellschaft.
Die CSU steht damit nicht allein. Seit Ende letzten Jahres zeigt sich das selbe Muster auch im deutschen Bundestag. Die Große Koalition hat seitdem im Schnellverfahren eine Vielzahl von Änderungen im Asyl- und Ausländerrecht mit ihrer Mehrheit durchgedrückt, ohne dass eine gesellschaftliche Beteiligung möglich gewesen wäre. Das Anhörungsverfahren für Verbände und Interessenvertreter wurde zu einer Farce degradiert. Zu dicken Gesetzespaketen sollten die Verbände innerhalb von zwei oder drei Tagen Stellung nehmen – einmal war die Frist zur Stellungnahme bei Zugang der Anhörung sogar schon abgelaufen. Die öffentlichen Anhörungen im Bundestag waren offenkundige Alibi-Veranstaltungen; allen war klar, dass die Kritik in den Wind gesprochen war.
Hierin, in diesem Frust, liegt der tiefere Grund für den breiten Protest gegen das nicht so wichtige Bayerische Integrationsgesetz. Wenn die Parteien ihre Machtfülle ausnutzen, die Einwände der Minderheiten ignorieren und nur den Erhalt ihrer Macht im Auge haben, zerstören sie die Grundlagen der Demokratie. Dies gilt in gleicher Weise für die CDU-CSU/SPD-Koalition in Berlin wie für die CSU-Mehrheit in Bayern, gegen die sich die SPD hier nur mit Filibustern zu wehren weiß.<