Reisende der Angst

Von Friedrich C. Burschel

Reisende der Angst

Der scheele Blick des Westens auf Afrika: Teil zwei.

Pathische Projektion

Die Afrikaner_innen, die Schwarzen, waren zwar entfernte Verwandte, so haben wir gehört, aber sie konnten, sollten nicht mit den gleichen Rechten ausgestattet sein wie die Weißen, die Europäer_innen. Alle naturwissenschaftlichen Zweige versuchten ihnen einen Platz zwischen Mensch und Tier, als „missing link“ zwischen Mensch und Affe, zuzuweisen, jedenfalls niedriger stehend als der „echte Mensch“ und diesem mithin unterworfen, auch in seinem Lebensrecht. Was ihm die „Zivilisierten“ jedoch an Erbsünden und Vergehen gegen Gottes Ordnung vorwarfen – Zeitlosigkeit, Mordlust, Faulheit, Grausamkeit, Hässlichkeit, Kannibalismus, Wildheit, Unvernunft, sexuelle Freizügigkeit –, all das kann grosso modo in Anlehnung an Max Horkheimers und Theodor W. Adornos Elemente des Antisemitismus aus der Dialektik der Aufklärung als „pathische Projektion“ gelesen werden: Der weiße Weltbeherrscher setzte mit Gier an Grausamkeit alles um, was er dem „hilflos unterlegenen“ „Eingeborenen“ andichtet; außer Kannibalismus, sofern man von literarischem und kulturellem Kannibalismus á la Conrad absieht.

Als Marlows schwarzer Steuermann von einem Speer tödlich ins Herz getroffen wird, ist es der Blick des sterbenden Wesens, der bei Conrad noch mal die Frage nach der Menschlichkeit aufwirft:

„Und die abgründige Intimität jenes Blickes, den er mir zuwarf, als ihm die tödliche Wunde beigebracht wurde, ist mir bis auf den heutigen Tag im Gedächtnis geblieben – wie der Anspruch einer fernen Verwandtschaft, die sich in einem höchsten Augenblick befestigt hat.“(S. 90)

Diese Verwandtschaft, die unserem Marlow hier wie ein Zugeständnis auf dem Sterbebett abgerungen wird, wird in der Geschichte der Marter Afrikas negiert. Um das gigantische Mord- und Versklavungsunternehmen ins Werk setzen zu können, mussten sich die Kolonisatoren stets der Nicht-Menschlichkeit, des Stadiums zwischen Mensch und Tier, jedenfalls der Nicht-Ebenbürtigkeit der Schwarzen versichern. Keiner hat diese Haltung wie Theodor W. Adorno in seinen Minima Moralia auf den Punkt gebracht:

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