Mädchen haben eine Klitoris, Buben einen Penis

Von Bettina Enzenhofer

Mädchen haben eine Klitoris, Buben einen Penis

Geschlecht ist komplexer, als es Recht, Medizin und Gesellschaft vorsehen. Passt ein Mensch nicht in die binäre Geschlechterordnung, so kommen medizinische Untersuchungen und oft geschlechtszuweisende Operationen zum Zug. Die Norm der Zweigeschlechtlichkeit wird so reproduziert, der Zweifel am Geschlecht ausgeräumt. Intersexuelle Menschen werden dabei in ihren Rechten verletzt

„Was ist es denn?“ – diese Frage stellt sich für Eltern und Ärzt_innen spätestens dann, wenn das Baby den Geburtskanal verlassen hat. „Was“ bedeutet zu diesem Zeitpunkt, welches Geschlecht das Neugeborene hat. Und das Geschlecht wird mit der Ausprägung der äußeren Genitalien gleichgestellt. Doch inwieweit sagen die Genitalien etwas über das Geschlecht eines Menschen aus?

Eine aktuelle deutsche Leitlinie sieht für den Phallus von Neugeborenen vor: Ist seine (gestreckte) Länge mindestens 2,5 Zentimeter, so ist der Phallus ein Penis, das Baby ein Bub. Beträgt die Phalluslänge weniger als 9 Millimeter, so wird der Phallus Klitoris genannt und das Baby als Mädchen eingeordnet. Passt der Phallus nicht in derartige Normgrößen, so warten weitere Tests auf das Neugeborene. Das Geschlecht wird vorerst nicht zugeordnet, im besten Fall übernimmt ein multidisziplinäres Team die weitere medizinische und psychologische Versorgung von Kind und Eltern. Dass der Phallus eine Größe aufweist, die geschlechtlich als „uneindeutig“ definiert wird, ist dabei nur ein mögliches Merkmal einer „Störung der Geschlechtsentwikklung“ beziwhungsweise „DSD“ (Disorders of Sex Development)“, wie „Intersexualität“ seit 2006 genannt wird. Von einem „psychosozialen Notfall“ sprechen Ärzt_innen außerdem auch, wenn der prä- natale Karyotyp nicht mit den äußeren Genitalien zusammenpasst – erwartet werden Penis und Hoden bei XY-, Klitoris und Vagina bei XX-Chromosomen. Gibt es eine_n Familienangehörige_n mit einer „DSD“, so ist das ebenso ein mögliches Kriterium, um das Geschlecht eines Neugeborenen genauer zu untersuchen. Genauso wie bei Hodenhochstand oder Hypospadie, wo die Harnröhre nicht an der Spitze, sondern unterhalb des Penis mündet. Ungefähr eine von 4.500 Geburten hat eine „DSD“, wobei in den meisten Fällen trotz etlicher Untersuchungen keine exakte Diagnose gestellt werden kann.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Definition dessen, was als „Intersexualität“ oder „Störung der Geschlechtsentwicklung“ gilt, verändert. Der Begriff „Störung der Geschlechtsentwicklung“/ „DSD“ wird heute dann verwendet, wenn die Entwicklung des anatomischen, chromosomalen oder die Keimdrüsen betreffenden Geschlechts atypisch ist. Dies ist eine vergleichsweise breite Definition: Der Überbegriff „DSD“ umfasst weit mehr Variationen von Geschlecht, als es bisher mit „Intersexualität“ der Fall war – beispielsweise verstand man eine Hypospadie nicht als „Intersexualität“, seit 2006 wird sie aber als „DSD“ eingeordnet. Deutlich wird: Erkenntnisse der Biologie/Medizin sind nur zu einem bestimmten Zeitpunkt gültig, sie verändern sich immer wieder.

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