Komplexe Fragen der Freiwilligkeit

Von Susanne Kimm und Petra Sußner

Komplexe Fragen der Freiwilligkeit

Opfer und Täter in der weltweiten Migration

Die Politik der EU zur Bekämpfung des Menschenhandels konstruiert „gute Opfer“ auf der einen und „schlechte Migrantinnen und Migranten“ auf der anderen Seite. Diese starre Zweiteilung geht an den Realitäten vorbei. Auch geraten dabei die Strukturen aus dem Blick, die Menschenhandel in seiner gängigen Definition überhaupt erst ermöglichen. Obendrein werden durch die weit verbreitete Gleichsetzung von Menschenhandel und „Zwangsprostitution“ stereotype Frauenbilder bedient, weitere wichtige Aspekte der Problematik jedoch ausgeklammert

Während die Europäische Union (EU) im zurückliegenden Jahrzehnt nach innen einen Grenzöffnungsprozess durchlaufen hat, sind die Mauern nach außen höher geworden. Ausgrenzungsmechanismen funktionieren zusehends über die Kategorien Ethnizität und Staatsbürgerschaft, der politische Diskurs ist auf eine Abschottung gegen die „kulturell Anderen“ ausgerichtet. Auf rechtlicher Ebene schlägt sich diese Entwikklung in restriktiver Asyl- und Ausländergesetzgebung nieder, die von einer hierarchisch-diskursiven Zweiteilung in „gute“ und „schlechte“ Migrantinnen und Migranten gezeichnet ist.

Hinlänglich bekannt ist die Privilegierung derjenigen, die aus marktorientierter Logik in die „Normalität“ Europas eingegliedert werden sollen – die so genannten hochqualifizierten Drittstaatenangehörigen. Ihnen steht das Konstrukt einer Gruppe von Migrantinnen und Migranten gegenüber, die aus ebendieser marktorientierten Logik für die Festung Europa „nicht von Nutzen sind“.

„Wirtschaftsflüchtlinge“ ist eine oftmals gebrauchte Bezeichnung für diejenigen, die letztlich auch als das bereits erwähnte „kulturell Andere“ gedacht werden, das „unsere“ westlich-abendländische und aufgeklärte Kultur zu unterwandern droht. Aus einem identitätsbezogenen Blickwinkel werden an dieser Stelle Differenzen schlagend, die sich über die Kategorie Klasse festmachen lassen und ihrerseits Anstoß zu Ausgrenzungspraktiken geben, die sich an der Ungleichheitsachse Race bewegen.

„Freiwillig“ oder „erzwungen“

Im Begriffsfeld Menschenhandel/Schlepperei tritt demgegenüber die Analysekategorie Klasse in den Hintergrund. Differenzfacetten, die sich etwa entlang der Kategorie Gender bewegen, gewinnen an Bedeutung. Im Unterschied zur diskursiven Bruchlinie zwischen „hochqualifizierten Drittstaatsangehörigen“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ findet die dichotome Konzeptionalisierung von Menschenhandel/Schlepperei im Begriffspaar „freiwillig“/„erzwungen“ ihren Ausdruck. Auch, weil die beiden Begriffe innerhalb des Rechtsdiskurses stark durch strafrechtliche Denkschemata geprägt sind, spielen Viktimisierungsprozesse und korrelierende geschlechterbezogene Stereotypen in diesem Feld eine tragende Rolle. Uns geht es deshalb im Folgenden darum, die Eckpunkte des bipolaren Konstrukts Menschenhandel/Schlepperei wie auch deren Diskontinuitäten und Ambivalenzen aufzuzeigen.

Dreh- und Angelpunkt für eine solche begriffliche Annäherung ist das im Jahr 2000 von den Vereinten Nationen verabschiedete „Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“, in welchem unter anderem Menschenhandel und -schmuggel (synonym für Schlepperei) definiert und behandelt werden. Binnen weniger Jahre wurden diese Definitionen allein schon durch die zahlreichen Ratifizierungen zum zentralen Bezugspunkt in wissenschaftlichen, rechtlichen und politischen Debatten um Migration, Menschenschmuggel und Menschenhandel.

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