Eingeschlossen in München

Von Kerstin Stakemeier und Philipp Gufler

Eingeschlossen in München

Erzählungen nicht-heterosexueller Leben

Im November 2013 fanden im Rahmen der von Michael Hirsch für das „Festival of Independents” am Haus der Kunst organisierten „Seminare zur Gegenwart” zwei Workshops mit dem Titel: „Eingeschlossen in München – Erzählungen Nicht-Heterosexueller Leben“ statt, in denen Gegenwarten und Vergangenheiten dieses Einschlusses einander gegenüber gestellt wurden.

Im ersten Teil der „Seminare zur Gegenwart“ wurden die 1970 er- und 1980 er-Jahre anhand von drei Stationen diskutiert: Den libertären und radikalen Politiken der 1970 er-Jahre, die eine Befreiung der Sexualität von ihrer heterosexuellen Normierung versuchten, ihrer gewalt(tät)igen Zurückdrängung ein Jahrzehnt später, als die AIDS-Krise der 1980 er-Jahre München erreichte und einer Gegen – Überstellung historischer Dokumente aus dem seit 1999 bestehenden Archiv „Forum Homosexualität München e.V.“ mit Texten der zeitgleich stattfindenden Debatten in den USA. Im zweiten Teil des Workshops wurde nach den Spuren der politisch radikalen Sexpolitiken der 1970 er-Jahre in der Gegenwart gesucht und diskutiert, wie sich die Repressionen der 1980er-Jahre in den heutigen Umgang mit AIDS als kulturalisiertem Alltagsphänomen tradierten und wie nicht-heterosexuelle Gegenentwürfe oftmals zu neuen kapitalistischen Marken wurden. In diesen historischen Gegenüberstellungen wollten Kerstin Stakemeier und Philipp Gufler vor allem deutlich machen, dass sie nicht für eine schlichte Akzeptanz nicht-heterosexueller Lebensmodelle innerhalb eines heterosexuellen Normmodells werben. Sie wollten vielmehr aufzeigen, dass nur die radikale Infragestellung dieses Normmodells die Basis einer Diskussion über eine Sexualität bilden kann, die sich nicht mehr nur als eine Anpassungsleistung an die nationalstaatliche Funktion heterosexuellen Begehrens bestimmt. Nach ihnen ist das Modell der heterosexuellen Kleinfamilie als zentraler Reproduktionsinstanz des bürgerlichen Nationalstaates kein Ideal, sondern eine Normierung unser aller Begehren. Eine Normierung, deren historische Brutalität sie anhand der AIDS-Krise der 1980 er-Jahre im Workshop demonstrieren wollten. Dies ist eine von Stakemeier und Gufler kommentierte Liste der Materialien, die sie im Seminar verwendeten: Keller-Journal, Aufruf zur Streichung des § 175, Nr. 6, 1981, aus dem Archiv „Forum Homosexualität München e.V.” Der § 175 StGB trat 1872 im deutschen Kaiserreich in Kraft und diskriminierte seitdem die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern. In München, wo sich im Herbst 1902 das „Wissenschaftliche humanitäre Comitee“ mit dem Berliner Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld traf und damit die erste Schwulenbewegung in Süddeutschland entstand, herrschte im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten in den 1920 er-Jahren ein durchweg repressives Klima. Hirschfeld, der in Berlin das Institut für Sexualwissenschaften gründete, wurde in München während seiner Vortragsreise durch ganz Deutschland brutal niedergeschlagen. Die nationalsozialistische Regierung beendete in den 1930 er-Jahren die Anfänge der Schwulenbewegung in ganz Deutschland und verschärfte 1935 den § 175 StGB, der nun die gesetzliche Grundlage für die spätere Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung von schwulen Männern in Konzentrationslagern gab. Auch nachdem die Alliierten dem Nationalsozialismus ein Ende gesetzt hatten, wirkte dessen soziale Hegemonie in der Bundesrepublik fort: Die schwule und lesbische Szene war weiterhin gesellschaftlich unsichtbar und ins Private verbannt. Die „Homophilenbewegung“ der 1950 er- und 1960 er-Jahre kämpfte noch sehr vorsichtig für Toleranz und definierte sich in erster Linie durch den Versuch gesellschaftlicher Anpassung und Akzeptanz. 1969 wurde der § 175 StGB entschärft, beziehungsweise nicht weiter angewendet, und dadurch wurde eine erste offene, entkriminalisierte Schwulen- und Lesbenbewegung – auch in München – möglich. Doch erst im Jahr 1994 wurde der Paragraph ersatzlos gestrichen. Im deutschen Recht wird jedoch immer noch zwischen dem Status heterosexueller und nichtheterosexueller Lebensgemeinschaften unterschieden. Lediglich die kategorische Kriminalisierung gleich – geschlechtlicher Liebe wurde aufgehoben.

(der ganze Artikel im PDF Format)