Der Traum ist aus

Von Matthias Weinzierl

Der Traum ist aus

Am 10. Februar 2005 wird die zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alte Gazale Salame in die Türkei abgeschoben, in ein Land, das ihr völlig fremd ist und in dem sie niemals gelebt hat. Die Polizei überrascht die schwangere Frau in ihrer Wohnung mit dem jüngsten Kind der Familie, während ihr Ehemann Ahmed Siala gerade die beiden älteren Kinder zur Schule bringt. Was folgt, ist ein acht Jahre andauernder, verzweifelter Kampf um ihre Rückkehr. Im März 2013 ist es dann endlich soweit, Gazale Salame kehrt mit ihren beiden Kindern zurück. Doch das lang erhoffte Happy End bleibt aus. Matthias Weinzierl sprach mit Ahmed Siala über Trennung, Hoffnung und geplatzte Träume.

Sie haben acht Jahre Wahnsinn hinter sich. Was geschieht mit jemandem, der von seiner Partnerin und seinen Kindern über so einen langen Zeitraum getrennt wird?

Man übersteht diese Trennung, weil man am Anfang natürlich Hoffnung hat. Man hat sehr viel Hoffnung. Man weiß ja nicht, dass es so eine lange Zeit dauern wird. Wenn ich das damals gewusst hätte, hätte ich vielleicht anders reagiert und gehandelt. Die Hoffnung trägt einen von Minute zu Minute, von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr, bis man dann irgendwann wieder zusammenkommt. Und diese Hoffnung lässt man sich natürlich nicht nehmen, solange man getrennt ist. So lange, bis man in der Realität ankommt und man nach so vielen Jahren wieder zusammenkommt und feststellt, dass es einfach nicht mehr funktioniert.

Wie haben Sie über diese lange Zeit der Trennung Kontakt gehalten?Konnten Sie miteinander über Telefon oder Skype reden?Was waren das für Gespräche?

Wir haben halt telefoniert. Früher öfter und am Ende waren es keine Gespräche mehr, sondern eher ein Anpöbeln. Die Vorwürfe kamen überwiegend von ihrer Seite. Sie war ja auch das schwächere Glied der Kette und lebte unter sehr viel schlimmeren Bedingungen als ich. Deshalb hatte ich auch nie so viel zu meckern wie sie gehabt. Ich habe immer wieder versucht, ihr Mut zu machen: Wir leben hier in einer wunderbaren Demokratie und Menschenrechte werden hier hochgehalten! Ich musste mich dann in den Jahren eines Besseren belehren lassen.

Sie waren ja über die gesamte Trennungszeit in Deutschland in relativer Sicherheit, während Ihre Frau unter katastrophalen Lebensbedingungen in einem Armenviertel von Izmir leben musste. Was haben Sie versucht, um sie aufzubauen?

Ich wusste nicht, wie ich ihr die schlechten Nachrichten übermitteln sollte. Ich habe sie am Anfang auch immer wieder gebeten: Beschreibe mir die Umgebung. Erzähle mir, wie es sich lebt und wie es ist. Ich habe mich dann durch ihre Erzählungen, wie schlecht es ihr geht, bestätigt gefühlt. Ich habe sie daraufhin gefragt: „Möchtest du das wirklich den anderen Kindern antun? Möchtest du, dass die ganze Familie über Jahre verdammt ist?“ Und dann hat sie wirklich geantwortet: „Nein, kämpfe weiter.“ Es gab schon auch Momente, wo sie gesagt hat: „Lass doch alles liegen und komme oder schicke mir wenigstens die Kinder.“ Ich habe daraufhin immer mit ihr über ihre Lebensverhältnisse gesprochen und sie immer wieder gefragt: „Willst du das wirklich deinen Kindern antun? Willst du ihnen ihre Bildungschancen wegnehmen und die wenige Sicherheit, die sie jetzt haben?“ Und ich habe ihr Hoffnung gemacht und gesagt: „Ich arbeite daran. Ich vergesse dich nicht und werde dich auch nicht im Stich lassen. Ich werde auch kein neues Leben anfangen, solange du dort bist, werde ich nichts dergleichen machen, außer dass ich dafür kämpfe, dass du wieder heimkommst. Mit den Kindern natürlich.“

(der ganze Artikel im PDF Format)