Mein Jahr als Schleuser

Von Federico Sälzer

Mein Jahr als Schleuser

Szenen aus dem bayerisch-österreichischen Grenzland.

Natürlich wussten wir, welches Risiko wir einging en. Und empfanden es doch als zu vernachlässigen. Einmal hatten wir uns sogar alle in Westdeutschland getroffen. Eine Art Vollversammlung der Fluchthelferinnen und Fluchthelfer, Plenum der Schleuserinnen und Schleuser gewissermaßen. Ich kann mich schon deshalb nicht so gut daran erinnern, weil ich von den meisten anderen nicht viel wusste. Richtig gut kannte ich eigentlich nur meine „Tandem-Partnerin“ Vera. Und manchmal, vor allem später, nachdem wir damit aufgehört hatten, fragte ich mich, ob ich sie je wirklich richtig gekannt hatte. Wie konnte es passieren, dass 15 Jahre später von dem intensiven Gefühl, mich auf sie bedingungslos verlassen zu können, nichts mehr geblieben war und sie mir so völlig abhanden gekommen war? Vera.

Auf der Zusammenkunft erfuhren wir nicht mehr als unbedingt notwendig, auch um uns selbst nicht zu gefährden. Was wie eingefädelt wurde, was vor und nach unserem Einsatz eine Rolle spielte, musste uns ja nicht weiter interessieren. Wir vertrauten darauf, dass alle Arrangements mit jenem Verantwortungsbewusstsein und jener Sorgfalt organisiert waren, auf die wir uns verständigt hatten. Das wenige, was wir wussten, war, dass mit vertrauenswürdigen Leuten aus den jeweiligen Communities, die für ihre Landsleute die heimliche Einreise nach Schengen-Deutschland organisierten, Kontakt bestand und alle Modalitäten ausgehandelt wurden. Wir hatten es damals mit tamilischen Flüchtlingen zu tun. Sie waren dem Jahrzehnte währenden blutigen Bürgerkrieg zwischen Tamilen und Singhalesen auf Sri Lanka entflohen, der seit 1995 wieder eskaliert war. Die tamilischen Routenplaner nahmen das günstige Angebot einheimischer Helferinnen und Helfer mit unserem politischen Selbstverständnis gerne in Anspruch: die Kosten beliefen sich lediglich auf die tatsächlichen Unkosten und waren dergestalt unschlagbar billig.

Zum Plenum waren wir alle eingeladen worden, ohne dass ein Telefon im Spiel war, obwohl damals, Mitte der 1990er Jahre, Handys erst im Kommen waren und vermutlich deren Überwachung noch nicht bis ins Letzte ausgereift war. Vielleicht irre ich mich auch und unser Kreis hätten locker das Objekt staatlicher Überwachung und Aushorchung sein können. Egal, es ist uns, zumindest in der Zeit, als ich an den heimlichen Grenzübertritten beteiligt war, nichts passiert.

(der ganze Artikel im PDF Format)