Ein schwarzes Loch

Von Paula Bombara

Es sind 30.000

30.000 Personen mit 30.000 Geschichten, die sie uns nicht erzählen konnten.

Paula Bombara, Jahrgang 1972, studierte in Buenos Aires Philosophie und Biochemie und arbeitet seit 2004 als Schriftstellerin. In ihrem mehrfach ausgezeichneten Debutroman, „El mar y la serpiente“ (das Meer und die Schlange) versucht sie Kindern und Jugendlichen die brutalen Auswirkungen der argentinischen Militärdiktatur näher zu bringen. Die jugendliche Hauptfigur soll darin für die Schule einen Aufsatz schreiben. Sie ringt im Verlauf des Buches mit dieser Aufgabe, bis sie sich schließlich entscheidet, über ihren verschwundenen Vater zu schreiben. Hier ein Ausschnitt

Vielleicht wäre eine von ihnen heute meine Erdkunde- oder Musiklehrerin. Oder der Fahrer von dem Bus, den ich jeden Morgen nehme. Oder vielleicht auch der Mann mit Schnauzbart und Augenringen, den ich immer sehe, wenn ich mit der U-Bahn nach Hause fahre. Vielleicht. Von diesen 30.000 Personen vermisse ich aus vollem Herzen eine. Ich vermisse meinen Papa. Ja. Meinen Vater ließen sie an einer Ecke verschwinden. Er verschwand aus meinem Leben wie ein Blatt, das vom Wasser in der Bordsteinrinne weggeschwemmt wird. Als ich größer wurde dachte ich, dass er mich allein gelassen hat, weil ich nicht wichtig war, weil ich ihm nicht genug wert war. Aber ich habe mich geirrt. Ich glaube, jetzt verstehe ich es. Danach haben sie auch meine Mama mitgenommen und auch mich. Aber das war ein Sturm, der nicht so lange andauerte. Meine Mama sagt mir immer, dass all das, was die 30.000 getan haben, die verschwunden sind, dass alles, was die Tausenden anderen, die heute noch hier sind (geschlagen, verängstigt, aber sie sind hier) getan haben dafür war, dass wir in einer besseren Welt leben können, in einer Welt, in der das Wort einen Wert etwas zählt, in der die Ideen etwas zählen. Heute fehlen uns 30.000 Personen mit Namen und Nachnamen. 30.000, das ist eine Menge. Wir treffen keinen von ihnen mehr zufällig auf der Straße. Wir kaufen von ihnen keine Kaugummis mehr, wenn denn welche einen Kiosk aufgemacht hätten. Wir zahlen auch bei keinem von ihnen unsere Gasrechnung, wenn denn am Ende welche am Bankschalter gearbeitet hätten. Ein schwarzes Loch von 30.000 Personen, die so vieles hätten machen können… Sie sind jetzt nicht einmal hier, um sie nach der Uhrzeit zu fragen. Aber nun gut, wir können die Vergangenheit nicht ändern. Aber was wir machen können ist daran zu erinnern, was uns ungerechterweise fehlt.

(der ganze Artikel im PDF Format)