Die neue Normalität

Von Celia Rothe

In Sachsen vergiftet der Hass die Leute und zerklüftet das Zusammenleben der Menschen. Gewalt, Beschimpfungen, niederträchtige Übergriffe passieren ständig und überall. Das Schlimmste: man gewöhnt sich daran.

Als Jugendliche habe ich mich oft gefragt, wie das eigentlich passieren konnte – in den dreißiger Jahren. Dass so viele Menschen nicht rechtzeitig gehandelt haben. Dass sie nicht geflohen oder untergetaucht sind. Rechtzeitig. Bevor es zu spät war.

Heute kenne ich die Antwort: Es gibt keinen bestimmten Zeitpunkt. Der Hass nimmt schleichend Überhand. In kleinen Stücken. Das haben die vergangenen Jahre in Sachsen gezeigt. Wie ein Geschwür durchdringen hier braune Gedanken die sozialen Schichten. Hoffnung? Die gibt es. Und sie stirbt zuletzt. Immer wieder höre ich den Satz: „Es kommen auch wieder bessere Tage. Du wirst sehen.“ Ich sehe, dass wir langsam hineinwachsen in unsere neue, braune Realität.

Offene Gewalt? In Chemnitz ganz normal. Das klingt jetzt wahrscheinlich alles sehr kryptisch. Die Gedanken überschlagen sich und ich muss mich beeilen, alles schnell aufzuschreiben. Solange es mich noch wundert. Denn wenn ich nicht aufpasse, wundert mich überhaupt nichts mehr. Ich wohne in Chemnitz. Und ich wundere mich nicht mehr darüber, dass ein Bekannter von mir aus Ägypten an einem frühen Abend mitten in der Stadt, umgeben von vielen verschiedenen Leuten, unter Anwesenheit der Polizei, zusammengeschlagen wird. Ich gewöhne mich daran, dass einem Freund von mir jeden Abend aufgelauert wird. Er ist Syrer, und jeden Abend lässt er sich von einem Mann, den er nur vom Sehen her kennt, bedrohen und schlagen. Er hat Angst, sich zu wehren oder sich der Polizei anzuvertrauen. Er hat Angst, dass ihm die Polizei nicht helfen wird. Ich habe aufgehört, mich darüber zu wundern, dass der 15-jährige Sohn einer engagierten Bekannten vor einer brüllenden Meute Männer davonläuft, die seinen Personalausweis haben will, um auf diese Weise zu erfahren, wo seine Mutter wohnt, um ihr mal richtig einzuheizen. Er flüchtet nach Hause. Sie sehen ihn im Hauseingang verschwinden. Er hört sie grölen: „Aha! Hier wohnt also die Flüchtlingsschlampe!“

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