Being Bastien Vivès

Von Matthias Weinzierl

Being Bastien Vivès

Eine Rezension des Comic „In meinen Augen“.

Die Geschichte, die uns der französische Zeichner Bastien Vivès auf 133 Seiten darbietet, ist schnell erzählt und in ihrer Schlichtheit fast schon trivial: Junge trifft Mädchen, sie plaudern, gehen spazieren, tauschen Lieblingsbücher aus, verabreden sich, gehen miteinander aus und kommen sich dabei immer näher. Eine kleine, ganz alltägliche und naturalistisch dargestellte Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf. So what?

Dass einem die Geschichte dennoch von Beginn an packt und es ihr gelingt, uns sogar in ihren Bann zu ziehen, liegt an einem ganz bestimmten Grund: Wir erfahren und erleben sie buchstäblich mit den Augen des Autoren. Wir nehmen seine Perspektive ein und bekommen ihn selbst dabei weder zu sehen, noch zu hören. Wir erfahren ausschließlich das, was er zu sehen und zu hören bekommt.

Diese Art der Erzählweise erinnert an den Filmklassiker „Being John Malkovich“, in dem das Publikum unentwegt in den Kopf des gleichnamigen Schau – spielers schlüpft. So fühlt man sich auch bei Bastien Vivès Comic „In meinen Augen“ in den Kopf und in die Rolle des Autors beziehungsweise des Protagonisten versetzt. Nicht ihm, sondern uns fällt daher im Lesesaal einer Bibliothek eine junge Frau auf, die am selben Tisch sitzt und gelangweilt liest. Wir werfen ihr verstohlene Blicke zu, denen sie verschämt ausweicht und schließlich trauen wir uns, sie anzusprechen. Warum die Handlung bei der Lektüre trotzdem so im Wagen bleibt? Von all den Begegnungen, vorsichtigen Annäherungsversuchen und den Gesprächen mit der geheimnisvollen Schönheit aus der Bibliothek, können wir nur ihre Reaktionen, also ihre Fragen, ihre Antworten, ihre Blicke, ihre Flirtereien verfolgen. Mit diesem Coup zieht uns Bastien Vivès direkt in die Handlung hinein und macht uns selbst zu Akteurinnen und Akteuren. Obwohl unser eigenes Agieren mehr oder weniger im Unklaren bleibt, wird dennoch daraus eine Geschichte, weil wir automatisch im Kopf die Lücken füllen, sprich die fehlenden Stellen der Dialoge beim Lesen und Betrachten rekonstruieren. Das fällt leicht, weil sie sich aus dem Zusammenhang fast von selbst ergeben. In jede dieser kleinen Ergänzungen legen wir automatisch immer auch einen Teil der eigenen Verhaltensweisen, des eigenen Erlebten – also etwas von uns selbst – hinein. So wird aus dieser kleinen, banalen Geschichte eine sehr persönliche und intime. Dadurch entsteht der Eindruck, dass wir diese Liebesgeschichte selbst erleben dürfen.

Bastien Vivès gelingt es dabei, niemals kitschig zu werden oder ins Romantische zu verfallen. Sein lockerer und teilweise fast skizzenhafter Zeichenstil unterstützt den Eindruck, hier in etwas sehr Persönliches einbezogen zu werden. Durch die ständige, fast ausschließliche Porträtierung ein und derselben Person, erklärt sich die Schwärmerei, also diese unbeschreibliche Faszination für einen Menschen, die jede und jeden befällt, die oder der zu lieben beginnt.

(der ganze Artikel im PDF Format)