Testcard: Überleben in Hochform
Von Till Schmidt
Überleben in Hochform
Eine neue Ausgabe des Magazins testcard ist erschienen.
Immer wenn ich erfahre, dass die Veröffentlichung einer neuen Ausgabe der testcard ansteht, freue ich mich auf eine vielfältige Zusammenstellung von Texten zu Musik, Literatur, Film und zeitgenössischer Kunst. 1995 gegründet, widmet sich jede testcard-Ausgabe einem ausgewählten Themenschwerpunkt. Hefttitel der Vergangenheit waren zum Beispiel: „Pop und Krieg“ (2000), „Black Music“ (2004), „Discover America“ (2005), „Sex“ (2008), „Regress“ (2008) und „Access Denied. Ortsverschiebungen in der realen und virtuellen Gegenwart“ (2011). Jede testcard schließt mit Besprechungen von haufenweise Tonträgern, Büchern und DVDs – die leider so klein gedruckt sind, dass man fast schon zur Lupe greifen möchte.
So auch in der aktuellen Ausgabe – der ersten nach dem viel zu frühen Tod des Gründers und langjährigen Mitherausgebers Martin Büsser. Ein Großteil der etwa drei Dutzend Beiträge hat einen Bezug zum Themenschwerpunkt „Überleben“. Dazu passt auch die stilvolle Gestaltung des Einbandes. In Form eines gebootlegten Coverartworks vom Sonic Youth Album „Daydream Nation“ (1988) ist er an Gerhard Richters Bild „Kerze“ (1983) angelehnt.
Ich-AG und Creative Industries
Die einundzwanzigste testcard -Ausgabe ist ein thematisches Sammelsurium. So gibt es einige Beiträge, die eindrücklich das Geldverdienen von Musikern, Schriftstellern und Journalisten thematisieren und dabei meist die Betroffenen selbst zu Wort kommen lassen. Peter Glaser etwa gewährt im Interview eher ernüchternde Einblicke in sein Arbeitsleben als relativ etablierter Journalist und Schriftsteller. Er konstatiert: „[…] als Freiberufler kennt man das Wort ,nein’ ja nicht. Ich hab’ da so eine Albtraumvorstellung, dass ich zu irgendeinem Auftraggeber ,nein’ sage, und der ruft dann sofort alle anderen an und sagt: ,Schon gehört? Glaser will nicht mehr arbeiten, den brauchen Sie gar nicht mehr anzurufen.’ Und ich sitz’ dann so mit Spinnweben überzogen vorm Telefon…“
Die Realität gewordene Überflüssigkeit einer „klassischen Kreativarbeiterin“ bildet den Ausgangspunkt von Chuck Kleinhans‘ Essay „Creative Industries“: Nach der Anfang der 1980er in den USA eintretenden Rezession rutscht die zuvor als Redakteurin und Autorin für Pornomagazine tätige Frau in die Prekarität und hangelt sich, ohne Krankenversicherung und Arbeitsplatzsicherheit, von Job zu Job. In einer ähnlichen Situation befände sich heute, dreißig Jahre später, ein Großteil der Mitglieder der vom Stadtplaner Richard Florida so glorifizierten „Creative Class“. An den US-Universitäten etwa wird Kleinhans zufolge nur noch ein Viertel des Unterrichts vom regulären, fest angestellten Lehrkörper ausgeführt. Häufig seien es schlecht bezahlte „Teaching Assistants“ oder (designierte) Promovierte, die zeitlich befristete Lehraufträge annehmen und Weiterbildung aus eigener Tasche bezahlen müssen.