„Lebensmodell Diaspora“

Von Stephan Dünnwald

Moderne Nomaden? Über das Leben in der Fremde

Dieses Buch versucht, aus ganz verschiedenen Ecken heraus, sich dem Leben woanders anzunähern. Woanders, das ist nicht zu Hause, und dennoch mit einem wie auch immer fantasierten, imaginierten, nostalgisierten Orientierungspunkt versehen, mag dieser nun das Eigene, die Rückkehr, die Heimat, die Herkunft genannt werden. Zeitliche und räumliche Verschiebungen kennzeichnen das, was auch mit Migration nur unsauber erfasst wird, ist mit Migration doch einerseits die Bewegung weg von einem Ort, das Verweilen woanders und sogar die Rückkehr, die natürlich nie eine Rückkehr in der Zeit, sondern höchstens eine Rückkehr an einen Ort sein kann, gemeint. Der Titel „Lebensmodell Diaspora: über moderne Nomaden“ ist Programm, doch fallen die Beiträge sehr unterschiedlich aus, nehmen mal mehr, mal weniger Bezug auf den Begriff der Diaspora, dehnen ihn, probieren ihn aus, transponieren den üblichen Bedeutungsinhalt. Beim Lesen der Beiträge fällt zunächst die Mannigfaltigkeit der Zugänge und Bezüge auf, was die Feststellung zum Beispiel des Migrationsforschers Stephen Castles unterstreicht, dass es wohl niemals eine umfassende Theorie der Migration geben wird. Kultur-, sozial-, politikwissenschaftliche Konturen dessen, was mit Diaspora und Wanderung gemeint werden kann, legen verschiedene Bedeutungsschichten, soziale Prozesse und politische Kraftfelder frei, die sich keineswegs zu einem stimmigen Bild fügen, sondern eher an Goldgräberei in einem weiten Feld erinnern: an vielen Stellen wird gleichzeitig gegraben, manche Schächte erweisen sich als fruchtbar, manche Gräben vereinen sich zu größeren Stollen, manches ergiebige Loch ist erschöpft und vergessen, wird vielleicht eines Tages wieder entdeckt, und mit neuem Gerät weiter ausgebeutet.

Der Begriff Diaspora, ohnehin von seiner vorherigen Bedeutung als Bezeichnung der jüdischen Gemeinschaften in den letzten Jahren so ausgeweitet und verbreitert, dass er auf jedwede Migration und Gemeinschaft anwendbar ist, stellt das Bindeglied zwischen den Beiträgen dar. Er wird ganz verschieden variiert, ist mal mehr hinterfragter Gegenstand, mal mehr das analytische Werkzeug, das größere Zusammenhänge erschließt. Deutlich wird, dass mit dem, was gemeinhin unter Globalisierung gefasst wird, zahlreiche und uneinheitliche Diasporen entstehen, die sich von anderen unterscheiden durch den Bezug auf ein geteiltes Gemeinsames, das je nachdem mehr in die Vergangenheit oder die Zukunft verlagert wird. Bei all den Ansätzen zur Diaspora wird klar, dass es keine ungeteilte Diaspora gibt, ebenso wenig wie etwas, das als ungebrochenes Gegenteil von Diaspora gelten könnte. Die Nation und der Nationalstaat sind schon immer durchdrungen, erweitert, begrenzt durch Diaspora und diasporische Bewegungen.

(der ganze Artikel im PDF Format)