Schlanker Staat, volles Sofa

Kommentiert von Christian Jakob

Die Flüchtlinge kommen. Aber wohin mit ihnen? Der Staat ist mit der Aufnahme offensichtlich überfor- dert. Das gestehen sich sogar Bundestagsabgeordnete ein und fordern Bürgerinnen und Bürger zur Aufnahme von Kriegsopfern auf. Das hat nach dem zweiten Weltkrieg schließlich auch geklappt. Aber was, wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt?

 

Er hatte ganz offensichtlich ein schlechtes Gewissen. Das „ungelöste Problem“ liege in seinem Flur, schrieb der von mir sehr geschätzte Kollege kürzlich in seiner Kolumne, die Parole in schwarzer und roter Sprüh- farbe: „Refugees welcome“. Flüchtlinge willkommen. Seine 17-jährige Tochter besuche eine „engagierte Schule in Berlin“. Doch was, wenn sie es an die Fassade des väterlichen, also seines, Gründerzei- thauses hänge? „Vielleicht versteht das jemand wörtlich und möchte bei uns einziehen.“ Dabei habe er „ein großes Herz in politischen Dingen“. Die Einwanderungspolitik Deutschlands nannte er wie zum Beweis im selben Text „kurzsichtig und menschenverachtend“. Doch könne er Migration fördern, indem er in seiner Wohnung zusammenrücke? Die Tochter sei bereit, „für eine Zeit das Zimmer zu räumen“. Wo sie schlafen wolle? „’Vielleicht im Kabuff im Flur‘ – ein Stauraum ohne Frischluft und Steckdose.“ Der Kollege war nicht begeistert. Wenn ein Flüchtling im Wohnzimmer auf dem Sofa nächtigt, könne er abends nicht mehr fernsehen und Musik hören, schrieb er. Sein eigenes Schlafzimmer? „Ich könnte auf’s Wohnzimmersofa ziehen. Aber was, wenn wir als neuen Mitbewohner eine schreckliche Nervensäge bekommen? Den kann man nicht einfach zurückschicken.“ Ihm erscheine seine 120-Quadratmeter-5-Zimmer-Wohnung für vier Personen plötzlich „ziemlich klein“.

Ein fremdenfeindlicher kleinbürgerlicher Linker?

Das Transparent sollte vorsichtshalber erst mal nicht an die Fassade. Stattdessen gelobte er, „für den Anfang“ Deutschunterricht zu geben oder „Zugereiste in bürokratischen Dingen zu unterstützen“. Wenn die Kinder später ausgezogen sind, werde über die Wohnungsfrage „nochmal neu nachgedacht“. Ist das eine typische linke Kleinbürgerseele – großherzig und fortschrittlich nach Außen, geizig und spießig, wenn es drauf ankommt? Ein Fremdenfeind gar, der keine Afrikaner in seiner Wohnung will?

Im August 2014 rief der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt aus Frankfurt (Oder) die Bürgerinnen und Bürger zur Aufnahme von Kriegsopfern auf. Die Deutschen seien es gewohnt, dass Hilfeleistungen über staatliche Stellen oder Träger der Wohlfahrt geleistet werden, erklärte er. Doch dies stoße an Grenzen. „Deshalb rufe ich die Menschen in unserem Lande auf, über eine zeitnahe Aufnahme von Flüchtlingen, insbesondere von Müttern mit Kleinkindern, in ihren eigenen Häusern oder Wohnungen nachzudenken“, sagte der Parlamentarier. Sowohl der verfügbare Wohnraum, etwa Gästezim-mer, als auch „die materiellen Voraussetzungen vieler Bürger“ seien so beschaffen, dass eine Aufnahme von Gästen „organisatorisch wie finanziell keine wesentliche Last darstellen würde“, sagte Patzelt. Er verwies auch auf die Vertriebenengeschichte „meiner Familie nach dem Zweiten Weltkrieg“.

Nach dem Zweiten Weltkrieg. Mein Vater erzählt mir bis heute immer wieder, wie 1945 englische Soldaten ins – nicht allzu große – Haus kamen. Sie zählten die Räume, zählten die Kinder und am Ende sagten sie: „Bei Euch ist noch Platz für sieben.“ Eine Woche später wohnten die Vertriebenen aus Ostpreußen unterm Dach in der zerbombten niedersächsischen Provinz. Eine von ihnen blieb sein Leben lang die beste Freundin meines Vaters. „Das ging damals auch“, sagt er heute.

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