Augenschein des Terrors
Ein Besuch der NSU-Tatorte
Nach bald 200 Verhandlungstagen am Oberlandesgericht München ist der NSU-Prozess zu einer Art Alltag
geschäft geworden. Als Beobachter und Dauergast auf der Zuschauertribüne wird es zunehmend schwieri-
ger, dem zu entgehen, was man als einen „Terror der Intimität“ beschreiben könnte. Ähnlich negativ berüh-
ren die NSU-Tatorte und die Formen des Gedenkens.
Wenn man über Monate und Jahre auf eine enge, schwülwarme Tuchfühlung mit Schaulustigen, Interessierten, „Medienschaf-fenden“ und Aufsichtspersonal im Justizbunker gehen muss, verklebt bisweilen die Wahrnehmung für das, was wesentlich sein könnte.
Stattdessen bleiben Erinnerungen an die endlosen und über weite Strecken fruchtlosen Befragungen von dreist und bockig auftretenden Zeugen und Zeuginnen aus der Neonazi-Szene oder verstockten Geheimdienst- lern. Polizisten und Polizistinnen, die Aussagen von Zeugen bezeugten, die sich wiederum auf ein Aussa- geverweigerungsrecht berufen konnten. Aber die Opfer und die Betroffenen des NSU-Terrors geraten im Prozessalltag immer weiter in den Hintergrund. Angehörige von Ermordeten oder Geschädigte lassen sich im Gerichtssaal in München kaum noch sehen. Es ist eine Zumutung für sie, dieses Verfahren zu verfol- gen, das seinen Blick starr auf die Täter richtet. Die beständig durchgehaltene Ungerührtheit, ja Heiterkeit der Angeklagten Zschäpe ist für sie kaum auszuhalten.
Erinnerung an den Gegenstand
Man hätte glatt vergessen können, worum es bei dem Jahrhundert-Prozess eigentlich geht, wäre nicht im Frühjahr 2014 die Überlebende des perfiden Spreng- stoffanschlages auf ein Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse als Zeugin aufgetreten. Eine eindrucksvolle Erinnerung daran erhielt auch, wer – fast zwei Jahre nach Prozessbeginn – die Zeugen aus der Kölner Keupstraße im Gerichtssaal hörte, die von den Folgen des Nagelbombenanschlags am 9. Juni 2004 berichteten. Es geht um neun rassistische Morde des rechtsterrori- stischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), den Mordanschlag in Heilbronn auf eine Polizistin und ihren Kollegen, der schwer verletzt einen Kopfdurch- schuss überlebte, um mindestens drei Sprengstoff- bzw. Nagelbombenanschläge und zahlreiche Bank- und Raubüberfälle.