„Nicht auf Radical Chic reduzieren“
Ein Interview von Till Schmidt
„Nicht auf Radical Chic reduzieren“
Inwiefern sind Mode und Styling politisch? Philipp Dorestal versucht diese Frage in seinem Buch „Style Politics“ anhand der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der Black Panther Party und der Nation of Islam zu beantworten. Till Schmidt sprach mit dem Autor über die antirassistische Message von Zoot Suits, über afroamerikanisches Haarstyling und die gegenwärtige Bedeutung von Style in den USA.
Herr Dorestal, „Style Politics“ ist ein zentraler Begriff in Ihrer Studie. Was ist darunter zu verstehen?
Damit möchte ich einen erweiterten Begriff von Politik vorschlagen, der nicht nur Staatshandlungen in den Blick nimmt, sondern auch alltägliche Interaktionen von Menschen. Im Allgemeinen wird Mode als ein eher vergängliches, oberflächliches Phänomen betrachtet, das keinen größeren gesellschaftspolitischen Wert habe. Demgegenüber zeige ich, dass gesellschaftliche Strukturkategorien wie Race, Gender und Raum über Style artikuliert werden und man sich mit einem bestimmten Styling immer dazu in ein Verhältnis setzt.
Style umfasst für mich Kleidung, Haare und Auftreten. Viele Modetheorien vernachlässigen den Körper, viele Körpertheorien thematisieren hingegen Mode kaum. Ich versuche, die beiden Komplexe zusammen zu denken und zu zeigen, dass bestimmte Kleidung nicht einfach nur für sich steht und eine Bedeutung hat, sondern diese Bedeutung erst über Körperpraktiken generiert werden muss. Damit meine ich etwa die Art, wie man sich bewegt oder wie man im Kollektiv auftritt. Ein Style muss immer wieder aufgeführt und performt, also als Handlung vollzogen werden. Insofern sagen Debatten um Style sehr viel mehr über gesellschaftliche Macht- und Kräfteverhältnisse aus, als bisher angenommen.
Warum beginnt die Untersuchung im Jahr 1943?
Mit den sogenannten Zoot SuitRiots markiert dieses Jahr ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte der African und Mexican Americans. Die Ausschreitungen, die sich vor allem in Los Angeles ereigneten, richteten sich gegen die TrägerInnen von Zoot Suits – eine bestimmte Art weit geschnittener Anzüge, die im Kontext von Jazz sehr verbreitet waren und auch als „racial signifier“ fungierten. Die Zoot Suiter, die hauptsächlich Mexican und African Americans waren, und zu denen sowohl Frauen als auch Männer gehörten, waren durch ihr auffälliges Styling sehr präsent im öffentlichen Bild. Das führte dazu, dass weiße Matrosen im Juni 1943 in die Innenstadt von Los Angeles zogen und dort systematisch Zoot Suiter zusammenschlugen, ihnen die Kleidung vom Leib zerrten und diese teilweise zerrissen oder verbrannten.
Für die Brisanz der Zoot Suits gibt es mehrere Gründe. Einer sind die staatlichen Rationierungsmaßnahmen, die im Zuge der Kriegsanstrengungen der USA ein Verbot bestimmter aufwändig produzierter Kleidungsstücke vorsahen. Die Zoot Suits verstießen mit ihrem Styling gegen genau dieses Verbot, und so wurden ihre Trägerinnen und Träger als „unpatriotisch“ gebrandmarkt, da sie sich weder an das Gesetz, noch visuell an zeitgenössische Vorstellungen von „gebührlichem“ Verhalten für USamerikanische StaatsbürgerInnen hielten. Der damalige Polizeikommissar von Los Angeles behauptete sogar, das Tragen von Zoot Suits würde als politisches Statement gegen die USA „Hitler helfen“.