Hauptsache köstlich!
Hauptsache köstlich!
Die Politisierung des Essverhaltens hat Konjunktur in der Linken. Nach vegetarisch, salzfrei, vegan oder gar freegan hat uns ein neues Phänomen erreicht – der Delanismus. Doch in klarer Abgrenzung zu den Verzichtsimperativen ihrer Vorgänger_innen und deren protestantischer Ethik des Mangels predigen Delanerinnen nur eines: guten Geschmack und radical deliciousness.
In einer schlecht beleuchteten Küche, fast ohne Tageslicht, habe ich Gabriel und Ruggiero getroffen, um mit ihnen über Delanismus zu sprechen. An der Wand hängt ein großes Plakat, eine zur Faust geballte Hand, die eine Artischocke gen Himmel streckt. Im Hintergrund die äußerst reduzierte Darstellung einer Sonne, deren rote und gelbe Strahlen einen Kranz um die Artischocke bilden: es ist das Symbol der delanen Bewegung.
„Der Ausdruck ,delan’ ist eine Analogbildung zu ,vegan’“, erklärt Ruggiero, Delaner der ersten Stunde. Das Präfix „del-“ verweise auf delicious, delikat oder „was auch immer mit der Buchstabenfolge d-e-l beginnt“. „Wir sind da ganz undogmatisch,“ ergänzt Gabriel – „Hauptsache köstlich!“
Oberstes Primat in der Bewegung der Delanerinnen ist nicht der teilweise oder komplette Verzicht auf tierische Produkte oder Ähnliches. Der Delanismus orientiert sich vielmehr an der Köstlichkeit zu konsumierender Gerichte. Die Kriterien hierfür sind nicht nur rein subjektiver Natur. Besonderes Augenmerk wird auf die handwerkliche Perfektion der Zubereitung, die Qualität der Zutaten sowie die geographische Zuordnung der Gerichte gelegt. Ihre Ansprüche beziehen die Delanerinnen keineswegs nur auf sich selbst, sondern formulieren sie auch als nach außen gerichtete politische Forderungen. „Wir sind der Meinung, dass es ein Recht auf gute und vor allem köstliche Ernährung gibt und das fordern wir auch ein. Nicht nur für uns, nein, für alle“, meint hierzu Gabriel. „Unsere Kritik zielt klar auf die gesellschaftliche Ebene ab. Es sind nicht zuletzt auch die Produktionsbedingungen im Kapitalismus, der Zwang zur Profitmaximierung innerhalb der Nahrungsmittelindustrie, der Quantität und Vermarktbarkeit über die Güte von Lebensmitteln stellt.“
Kämpfe auf dem Tellerrand
Der Protest der Delanerinnen richtet sich auch gegen „linke Sünden“ wie eingetrockneten Dhal, Chilli sin carne und verkochte Nudeln. Oder in den Worten von Ruggerio: „Wir hatten es damals einfach satt, dass die radikale Linke nicht kochen kann.“ Keinesfalls soll es aber um bohemienhafte Distinktion gehen. „Es muss nicht alles immer teurer Luxus sein. Manchmal können auch simple Spaghetti alla Puttanesca das Beste sein.“
Mit missionarischem Eifer machen sie sich daran Volxküchen zu reformieren. „Mit einigen einfachen Mitteln kann mensch viel erreichen.“ Man müsse beispielsweise das Nudelwasser nur ausreichend salzen und „natürlich nicht die Pasta von Discounter nehmen“, das sei schon die halbe Miete in Sachen Nudeln.
Dass die Delanerinnen dabei in der linken Szene nicht nur auf Zustimmung stoßen, mag auch an ihrem besserwisserischen Auftreten und ihrem bisweilen sektiererischen Habitus liegen. „Spinner“ oder „kleinbürgerliche Studenten“ nennt sie manch eine_r hinter vorgehaltener Hand. „Mit dem ständigen Gerede übers Essen haben die unsere autonome Vollversammlung total gelähmt und gemeinsame politische Debatten unmöglich gemacht“, meint Sebastian (27), der in antifaschistischen Zusammenhängen organisiert ist.