„Die ganze Stadt ist Thema“
Von Till Schmidt
„Die ganze Stadt ist Thema“
Mit „Memory Loops“ hat Michaela Melián einen virtuellen Ort des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus geschaffen. Das Audiokunstwerk umfasst 300 deutsch- und 175 englischsprachige Tonspuren, die zum Anhören und kostenlosen Download auf einer virtuellen Stadtkarte Münchens hinterlegt sind. Jede Tonspur ist eine Collage aus Stimmen und Musik, die thematisch einem Ort innerhalb der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ zugeordnet ist. In München selbst sind 61 ausgewählte Orte durch Schilder mit Telefonnummern gekennzeichnet. Dort können auf den Standort bezogene Tonspuren abgehört werden. Memory Loops basiert auf historischen und aktuellen Originaltönen von NS-Opfern und Zeitzeugen, die für das Projekt von Schauspielerinnen, Schauspielern und Kindern eingesprochen wurden.
Frau Melián, welche Idee steckt hinter Memory Loops?
Wichtig war mir, kein Entlastungskunstwerk zu schaffen; kein Denkmal, das diesen Gestus symbolisiert, man könne die NS-Geschich – te mehr oder weniger ad acta legen, da man ja nun eine Ge – denk stätte im öffentlichen Raum platziert hat, wo man an Gedenktagen Kränze niederlegt und offizielle Erinnerungsrituale vollzogen werden können. Auch ging es mir darum, gängige Er – zählungen zu entkräften, die behaupten, von nichts gewusst zu haben; oder dass man am liebsten jemanden im Keller versteckt hätte, wenn man nur die Gelegenheit dazu gehabt hätte – Erzählungen, die in der Regel eigentlich durch die Quellen, auf die ich auch für mein Projekt zurückgriff, widerlegt sind.
Am stärksten interessiert haben mich der tagtägliche Terror und wie aus einem demokratischen System heraus schnell eine andere Stimmung entstehen kann, die auch in Gesetzen wie den „Nürnberger Rassengesetzen“ zum Ausdruck kommt. Schon 1933 verlieren Menschen ihre Jobs, schon in derselben Nacht, in der die Nazis in das Münchner Rathaus oder das Bayerische Parlament einziehen, kommen Menschen in das Konzentrationslager Dachau. Der tagtägliche Terror setzte ja nicht aus dem Nichts ein, alles bereitet sich vor in bestimmten Diskursen, Meinungen, Zuschreibungen und Strukturen. Deshalb auch die Idee, nicht nur die Zeit von 1933 bis 1945 in den Blick zu nehmen, wie es mein eigentlicher Auftrag war, sondern schon viel früher anzusetzen. Mir geht es darum, möglichst viele Orte innerhalb Münchens abzudecken und dabei Biographien zu verbinden. Man soll zwischen den einzelnen Biographien hin- und herspringen können. So wird der gemeinsame Gewaltzusammenhang erkennbar, der München seinerzeit prägte. Die ganze Stadt ist Thema.
Wessen Geschichten werden dabei repräsentiert?
Der Auftrag der Stadt München war, dass alle Opfergruppen berücksichtigt werden müssen und keine Nivellierung bei der Gewichtung stattfinden darf. Wichtig war für mich, auch denjenigen Gehör zu verschaffen, die bisher als Opfergruppe kaum bis gar nicht beachtet wurden, wie zum Beispiel die Opfer der „Euthanasie“- Aktionen oder die Zwangssterilisierten. Zudem wollte ich möglichst auch Quellen von Zuschauerinnen und Zuschauern verwenden, was außerordentlich schwer war