Nationale Hysterie

Von Judith Götz und Rosemarie Ortner

Nationale Hysterie

Die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Ungarn erlangen, insbesondere im Nachbarland Österreich, erhöhte mediale Aufmerksamkeit. Seit ihrer Regierungsübernahme im Frühjahr 2010 betreibt die Partei Fidesz unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Viktor Orbán den Abbau demokratischer Rechte. Dies ist verknüpft mit einem – in vielen Bereichen deutlich spürbaren – völkischnationalen Diskurs, der seinen Ausdruck etwa in der symbolträchtigen Umbenennung von Straßen und Plätzen, der Außenpolitik (Konflikte mit der Slowakei und Rumänien; der provokative Großungarnteppich der Ratspräsidentschaft in Brüssel) oder der Minderheitenpolitik im Land findet (Arbeitslager für Sozialhilfeabhängige, was zum Großteil Roma betrifft; vgl. Hinterland #17) findet.

Dieser völkisch-nationale Diskurs wird von der neofaschistischen Oppositionspartei Jobbik tatkräftig unterstützt. Jobbik, die in ihrer Symbolik und Selbstdarstellung an die nationalsozialistischen Pfeilkreuzler anknüpft, konnte sich bei den letzten Wahlen mit knapp 17 Prozent der Stimmen als drittstärkste parlamentarische Kraft etablieren. Viktor Orbán und die Fidesz, die eine parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit erlangen konnten, verdanken ihren deutlichen Wahlerfolg auch dem Spiel mit dem Feuer solcher Gruppen. Jobbik, die einen militanten Antiziganismus propagiert, gegen „raffendes, jüdisches Kapital“ wettert und den nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg unterzeichenten Friedensvertrag von Trianon annulieren und damit „Großungarn“ wiederherstellen will, grenzt sich jedoch heute vehement von der amtierenden Regierung ab. Diese gilt den Neo-Faschist_innen als nur scheinbar national. Jobbik setzt ihre Kontakte in das gut organisierte rechtsextreme Netzwerk öffentlich in Szene und unterstützt auch die Gegenmobilisierung zur Budapest Pride.

LGBTIQ-Community in Budapest

Auch die LGBTIQ-Community in Budapest steht nicht außerhalb des völkisch-nationalen Diskurses. Beim Pride-Festival 2011 kristallisierten sich die Debatten diesbezüglich um einen von den Organisator_innen verteilten Anstecker, einer Kokarde, die zur Hälfte die Farben der ungarischen Flagge, zur anderen Hälfte die Regenbogenfarben zeigte. Mit dem Anstecker soll, so einer der Organisator_innen, die Hegemonie einer rechten Definition von Zugehörigkeit in Frage gestellt werden, wie Fidesz sie popularisiere. Ungarisch zu sein bedeute „viel mehr“ und nicht die Regierungspartei dürfe vorgeben, wie ungarische Menschen zu leben hätten. Kritiker_innen wiesen hingegen auf die Gefahren des – immer auf Ausschlüssen basierenden – Nationenkonzepts hin. „Ich bin nicht ungarisch“, sagt ein ungarischer Aktivist und bastelt sich eine Regenbogenkokarde ohne ungarische Farben. Zwei politische Strategien, auf einen Diskurs zu reagieren, in dem LGBTIQ-Menschen mit „nem vagy magyar“ („Du bist nicht ungarisch“) beschimpft werden. Eine dritte wäre die Emigration: „Ach wenn es nur so wäre!“, meint eine an der Pride teilnehmende Person.

Die ungarische Nation produziert ihre Figuren „nationaler Anderer“. Dieser Diskurs macht nicht halt vor der LGBTIQ-Community und erschwert es, sich zusammen zu tun. Dabei scheint eine Strategie der „joint forces“ doch naheliegend. Auf der Parade fand sich jedoch auch eine Gruppe, die sich „Pink Block“ nannte. Einer der Slogans: „Solidarity with Roma-LGBTIQ!“ Damit reagierten sie auf einen Vorfall bei einer Festival-Party am Vorabend, wo drei Roma Transgender-Personen der Einlass verweigert wurde. Daraufhin kam es zu einem Streit in der Organisationsgruppe. Die drei Personen kommen angeblich aus dem Dorf Gyöngyöspata und haben dort sowohl die aufmarschierten Bürgerwehrtruppen zu fürchten (vgl. Hinterland #17) als auch von der Roma-Gemeinschaft wenig Unterstützung zu erwarten. In der LGBTIQ-Community in Budapest steht ihre Zugehörigkeit nun ebenfalls zur Debatte.

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