Herrschaft des Verdachts

Herrschaft des Verdachts

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s weiter ungeniert. Mit dieser scherzhaften Redewendung könnte sich auch das a.i.d.a.-Archiv über den Ärger hinwegtrösten, den es seit bald drei Jahren mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (VS) hat. a.i.d.a. ist die „Antifaschistische Informations-, Dokumentationsund Archivstelle“ in München, die nach fast 20-jähriger anerkannter und mit zahlreichen Auszeichnungen bedachter Tätigkeit gegen Neonazi-Umtriebe in Süddeutschland 2009 erstmals im Verfassungsschutzbericht des bayerischen Geheimdienstes für das Jahr 2008 auftauchte und dort als „linksextremistisch“ eingeordnet wurde. Am Beispiel der Münchener Faktensammler gegen Rechts lässt sich in besonders drastischer Weise nachzeichnen, was passiert, wenn man im Zuge der neuen „Extremismus“-Konjunktur als „linksextrem“ gebrandmarkt wird und wie schwer es ist, sich dagegen zu wehren und den eigenen Ruf zu retten

„Unterwanderungsversuche“ zur „Beseitigung unserer Grundordnung“

Es sei Abwägungssache, wann es eine Verfassungsschutzbehörde für angesagt und verhältnismäßig erachte, eine Gruppierung in den Verfassungsschutzbericht aufzunehmen, bei der „Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche und „gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung gerichtete“ Betätigung erkannt würden. So erklärt der stellvertretende Pressesprecher des Bayerischen Innenministeriums, Peter Hutka, weshalb a.i.d.a erst 19 Jahre nach Vereinsgründung ins Visier des Landesamtes geraten sei. Innenminister Joachim Herrmann wurde, was den Zeitpunkt der Aufnahme in den VS-Bericht betrifft, bei dessen Präsentation im März 2009 deutlicher: A.i.d.a. versuche „verstärkt bei demokratisch initiierten Projekten gegen Rechtsextremismus Fuß zu fassen und hier Einfluss zu gewinnen“. In letzter Konsequenz, so Herrmann, gehe es a.i.d.a. bei solchen „Unterwanderungsversuchen“ um die „Beseitigung unserer Grundordnung“. Starker Tobak. Die wahren Gründe für diese rabiaten Anwürfe des Innenministers sieht die Rechtsanwältin von a.i.d.a., Angelika Lex, ganz woanders: Sie habe mit ihrer Mandantin lange über diese Kampagne des Verfassungsschutzes gegrübelt, deren Hartnäckigkeit zumal nach einem vernichtenden Gerichtsurteil kaum noch nachvollziehbar sei. Das Innenministerium wolle sich, so Lex’ These, die Definitionsmacht über das Thema „Rechtsextremismus“ nicht von einem derart erfolgreichen Akteur wie a.i.d.a. streitig machen lassen, bei dem selbst Verfassungsschützer anderer Bundesländer wegen Informationen vorstellig würden. A.i.d.a. rede einfach dort Tacheles über Ausmaß und Strukturen der rechten Szene in Bayern, wo die Innenbehörden gerne behaupten, das Thema sei weit unbedeutender und man habe alles im Griff, vermuten die Betroffenen und ihre Anwältin. Als a.i.d.a. dann auch noch im Rahmen des Bundesprogramms „kompetent für Demokratie“ im Beratungsnetzwerk der „Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus“ auftauchte, war das Maß für den Verfassungsschutz wohl voll: Das Innenministerium ließ a.i.d.a. aus dem Gremium entfernen und sorgte mit der Nennung der Archivstelle im Verfassungsschutzbericht auch dafür, dass der kleine Verein mit rund dreißig Fördermitgliedern und einer Handvoll Aktiver seine Gemeinnützigkeit einbüßte.

Bayerische Halsstarrigkeit

Seither gleicht der gerichtliche Wettlauf von a.i.d.a. mit dem Innenministerium dem Rennen zwischen Hase und Igel: Noch während das Verfahren gegen die erste Nennung im VS-Bericht 2008 lief, wiederholte der Geheimdienst den Vorwurf in seinem Bericht für 2009. Und obwohl am 23. September 2010 ein für den Verfassungsschutz vernichtendes Urteil des Verwaltungsgerichtshofes (VGH), des bayerischen Äquivalents zu einem Oberverwaltungsgericht (OVG), zum VS-Bericht 2008 erging (Az 10 CE 10.1830),

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