Generation Facebook

Generation Facebook

Jenseits plakativer Simplifizierungen widmet sich der nicht mehr ganz druckfrische, aber nach wie vor äußerst lesenswerte Sammelband „Generation Facebook – Über das Leben im Social Net“ dem vorläufig wohl weiterhin bedeutendsten Netzwerk im Internet. Die Herausgeber, Oliver Leistert und Theo Röhle, versprechen im Vorwort eine „fundierte, kritische Perspektive auf facebook”, diese „Maschine“, der sie sich auf den Ebenen der Politik und Ökonomie, in Bezug auf das Verhältnis von Subjekt, Identität und Gesellschaft sowie über das Verhältnis von Privatsphäre und Überwachung nähern wollen. Unter diesen Blickwinkeln bieten sie eine theoretisch versierte und äußerst differenzierte Analyse des Phänomens.

Netz und Markt

So versteht etwa der Medienwissenschaftler Marc Andrejevic Facebook als eine neue Produktionsweise. Er verfolgt die Beobachtung, dass durch Facebook eine zunehmende Verlagerung des Sozialen in einen kommerzialisierten und privatisierten digitalen Raum und somit eine Einhegung des dabei generierten Inhalts stattfindet, in dem sich die User*innen beim Pflegen ihrer sozialen Kontakte nebenbei zur Analyse ihrer Konsumgewohnheiten zu Marketingzwecken radikal transparent machen. Dadurch, dass die User*innen diesem privaten Raum einen nie enden wollenden Strom an Informationen zu ihren Wünschen, Vorlieben und Konsumgewohnheiten zur Verfügung stellen, kann die gezielte Platzierung von Werbebotschaften auf eine neue Stufe gehoben werden. In den Genuss der Vorteile der Teilhabe an Facebook kommt nur, wer sich auf der anderen Seite auch vollständig als Marktforschungsobjekt zur Verfügung stellt.

Daran anschließend betrachten Marc Coté und Jennifer Pybus die auf Facebook stattfindende Informationsgenerierung selbst bereits als Arbeit. Sie analysieren die Selbstdarstellung auf Facebook mithilfe des Konzepts der immateriellen Arbeit nach Hardt und Negri als „immaterielle Arbeit 2.0″, die dem Unternehmen kostenlos zur Verfügung gestellt wird und bei der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend verschwimmen; die frühere vorwiegend passive Rezeptivität des Medienkonsums wandelt sich hier zu affektiv aufgeladener Produktivität aktiver „Produzent*innen-Konsument*innen“, deren Mehrwert in Form statistischer Daten vom Unternehmen profitabel abgeschöpft werden kann. Dies ermöglicht ein nie dagewesenes Ausmaß der biopolitischen Analyse des sozialen Körpers. In gewisser Weise erscheint hier Deleuze‘ Schreckensnachricht, dass „Unternehmen eine Seele haben“, radikalisiert: Facebook stellt die Infrastruktur, die Seele liefern die User*innen. Sie füllen die an sich leere Hülle Facebook mit ihrer Aktivität, ihrem Engagement, ihren Affekten und liefern ihm somit erst den Strom an kollektiv-seelischen Inhalten, von denen es lebt und die es zur Verwertung nahezu beliebig anzapfen kann.

Drastisch veranschaulicht wird dies mit direktem Einblick in diese Marketingmechanismen, etwa über den Kurzkommentar eines Entwicklers von Marktanalyse-Tools, für den die nutzerinnengenerierten Inhalte letztlich „nur eine Ressource [darstellen], die auf der Straße liegt, um aufgehoben und verkauft zu werden“; dass Daten nicht nur an Unternehmen, sondern auch an Ermittlungsdienste bereitwillig verkauft werden, hebt die Medienaktivistin Anne Roth hervor, deren Lebensgefährte Andrej Holm 2007 ins Visier der Terrorfahndung geriet. Die technischen Voraussetzungen nehmen Robert Bodle und Carolin Gerlitz kritisch in den Blick; sie machen insbesondere auf die Expansion von Facebook auf weite Teile des Web durch Social Plugins aufmerksam und eröffnen eine Perspektive für Möglichkeiten eines wertebewussteren Umgangs mit dem Design sozialer Netz – werke.

(der ganze Artikel im PDF Format)