Die Undankbaren

Flüchtlinge protestierten Ende 2014 in München mit einem Hungerstreik gegen menschenunwürdige Bedingungen. Das bayerische Innenministerium antwortete darauf mit dem Vorwurf der Undankbarkeit.

 

Der Topos des Flüchtlings ist überfrachtet mit Be- deutung, aber trotzdem und gerade zurzeit grundsätzlich von einer positiven Stimmung ge- tragen. Gleichwohl ist diese Grundströmung fragil und angreifbar. Worte wie „Sozialbetrüger“, „Asylant“, „Ein- wanderer in unsere Sozialsysteme“ nagen am positiven Gehalt  des  Begriffs  vom  „Flüchtling“,  sind  auf Ablehnung, im Falle von Pegida und Co. auch diffus auf Krawall gebürstet. Gegen die Abwehrhaltungen formiert sich eine (nicht ungeteilte) öffentliche Meinung, die „für Flüchtlinge“ eintritt, die Aufnahme von Flüchtlingen als Verpflichtung ansieht, sich für Flüchtlinge engagiert und um Flüchtlinge kümmert. Dieses Kümmern entfal- tet sich, angesichts spärlicher professioneller Flüchtling- shilfe, weitgehend ehrenamtlich.

Enttäuschte Willkommenskultur

Die Bereitschaft, Flüchtlingen zu helfen, ist groß: Kom- munen und Wohlfahrtsverbände müssen Stellen und Hotlines einrichten, um sie und ihren Materialausstoß zu organisieren: Bald werden ehrenamtliche Helferin- nen und Helfer gesucht, um die Spenden der vielen Hilfs bereiten zu sortieren und den Flüchtlingen zukom- men zu lassen. Überall im Land gründen sich Initiativen, die sich um die Bewohnerinnen und Bewohner von Flüchtlingsunterkünften kümmern; manchmal weit bevor überhaupt Flüchtlinge in die Ortschaft kommen. Die Hilfsbereiten eint ein doppeltes Motiv: einerseits Flüchtlingen zu zeigen, dass sie willkommen sind, an- dererseits den anderen Eigenen zu demonstrieren, dass sie für Flüchtlinge einstehen und die anderen sich zum Teufel scheren sollen. Während die einen „das Volk“ als großes WIR bemühen, wollen die anderen zeigen, dass ihr WIR nicht eine Vereinigung von rassistischen und fremdenfeindlichen Menschen ist.

In dieser Situation versammelt sich ein kleines Grüpp  – chen Flüchtlinge angemeldet auf dem Münchener Sendlinger-Tor-Platz,  um  zu  demonstrieren.  Ihre Forderungen sind diffus: Sie wollen Aufenthaltsrechte und sie wollen eine bessere Unterbringung. Zur Durch- setzung ihrer Forderungen treten sie in den Hunger- streik. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Aus der bayerischen Regierung heraus kommt aber ein klares Signal: Der Hungerstreik beschäftigte am Dienstag auch das bayerische Kabinett. Innenminister Joachim Herrmann und Staatskanzleichef Marcel Huber (beide CSU) war- fen den Flüchtlingen Undankbarkeit vor. Es handle sich um einen „schweren Schlag“ bei den Bemühungen, um Verständnis für die Situation von Flüchtlingen zu wer- ben, sagte Huber. (Süddeutsche Zeitung vom 25.11.2014)

Undankbarkeit. Das ist zugleich sehr eingängig und schwer zu deuten. Was heißt es, wenn zwei hohe Regierungsvertreter, der eine (Huber) zuständig für den Krisenstab   einer   rundum   chaotischen   Unter- bringungssituation, der andere (Herrmann) immerhin oberster Türsteher Bayerns, einem kleinen Häuflein Flüchtlinge  Undankbarkeit  vorwerfen?  Eine  erste Antwort  ist  schnell  gefunden.  Flüchtlinge  sollen DANKBAR sein dafür, dass man sie überhaupt ins Land gelassen hat (Bayern und Deutschland tun alles, um dies zu verhindern, wer es dennoch schafft, soll also da schon mal dankbar sein – aber wem gegenüber?), und dass man sich auch noch bemüht sie unterzubringen und ihnen was zu essen gibt (auch wenn das unter allseits bekannten katastrophalen Umständen für viele Flüchtlinge passiert, die schon mal draußen schlafen müssen, die nicht immer zu essen bekommen, die oft binnen einer Woche eine ganze Kette von Notun- terkünften durchlaufen).

(der ganze Artikel im PDF Format)