Der Bauchredner aus dem Allgäu

Von Caspar Schmidt

Der Bauchredner aus dem Allgäu

Regionale Kriminalromane haben derzeit Hochkonjunktur. Besonders erfolgreich ist das Autorenduo Klüpfel und Kobr. Ihr Erstlingswerk Milchgeld mit dem mürrischen Kommissar Kluftinger führte vom Fleck weg die Bestsellerlisten an. Welche Bedürfnisse die Autoren damit befriedigen und warum das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist, ermittelt

Die aktuelle Schwemme regionaler Kriminalromane – von Hamburg bis ins Allgäu – ist überwältigend. Der Branchenprimus Emons Verlag („Wir machen alles, was die großen Verlage machen, allerdings mit regionalem Bezug“) führt mittlerweile über 40 Serien in seinem Sortiment. Regionale Kulinaria, bekannte Plätze und bewegende Ereignisse der örtlichen Geschichtsschreibung bilden die Kulisse um den jeweiligen Kriminalfall, sodass sich die Ortskundigen beim Lesen an ihrem Spezialwissen erfreuen können. Dabei wird der Charakterzug der Region stark überzeichnet, stärker noch als beim „Tatort“. Bei der öffentlich-rechtlichen TV-Krimi-Reihe begnügt man sich in der Regel damit, eine Mundart-Nebenrolle zu besetzen – einen Deppen vom Dienst sozusagen – und die Ermittelnden kommen mehrheitlich weniger verwurzelt daher. Bei den regionalen Kriminalromanen hingegen bilden der Depp vom Dienst und der zumeist männliche Kommissar eine Personalunion.

Das Buch Milchgeld der Hobbyautoren Klüpfel und Kobr ist das erste Werk einer mittlerweile siebenbändigen Serie. Diese Bucherscheinung eignet sich gut, um die Erfolgsfaktoren der regionalen Kriminalromane darzustellen. Milchgeld beginnt mit einer ersten Charakterstudie des ermittelnden Kommissars Kluftinger beim Verzehr von Käsespatzen, die er sich jeden Montag von seiner Frau servieren lässt. Um Essen dreht es sich auch erschöpfend auf den 300 folgenden Seiten. Kluftinger ernährt sich fast ausschließlich von regionaler Kost. Das einzige als „exotisch“ beschriebene Gericht, für das er sich in Ausnahmefällen erwärmen kann, sind Spaghetti-Fertigpackungen. Rucola, Latte Macchiato und Balsamico hält Kluftinger für „Modetrends, die man mitmachen muss, wenn man den Anschein machen will, dass man beim Essen international, weltoffen und genießerisch“ ist. International, weltoffen und genießerisch ist Kluftinger aus Überzeugung nicht. Lokalpatriotismus, Argwohn gegenüber allem „Fremden“ und eine ausgesprochene Lustfeindlichkeit zeichnen ihn aus.

Parmesan, der „Italiener ihr alter Bröckelkäse“, sollte seiner Meinung nach im Allgäu nicht hergestellt werden, da „man so guten einheimischen Käse im Allgäu“ hat. Selbst Semmeln erscheinen Kluftinger zu abgehoben. Früher sei „man ja auch ohne Semmeln ausgekommen“, belehrt der Kommissar und zieht das Schwarzbrot der Semmel vor. Wer es bis zur Seite 54 des Romans geschafft hat, bekommt zu lesen, wie sich Kluftinger in eine Dönerbude verirrt. Dort rutscht dem Kommissar – da ihm der Döner zu scharf ist – ohne Hintergedanken der rassistische bayerische Fluch „Kruzitürken“1 heraus. Das ist ihm vor den anwesenden türkischen Bauarbeitern im Nachhinein zwar peinlich, aber sicher nicht den meisten Lesenden, denen er seinen Ruhm zu verdanken hat und die ein „Kruzitürken“ im Dönerladen vermutlich für eine gelungene Pointe halten werden.

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