Fußball – der ideale Notausgang

Von Eva Bahl

Fußball

– der ideale Notausgang für Kinder aus der Dritten Welt?

„Moussa, der die Schmach seiner Abschiebung nicht aushielt, konnte nicht mehr erleben, wie sein Vater zu der Erkenntnis gelangte, dass Fußball heute durchaus ein angesehener Beruf ist – der ideale Notausgang für Kinder aus der Dritten Welt. Und eine gute Gelegenheit, den Blick des Westens zu erhaschen, der sonst nur Kriege, Hungersnöte und Aids wahrnimmt, die ihm nicht soviel Geld wert sind wie seine Weltmeisterschaften.“

 

Doppelte Fremde

Im Mittelpunkt des stark autobiographisch geprägten Romans Der Bauch des Ozeans von Fatou Diome steht das Verhältnis der in Frankreich lebenden Senegalesin Salie zu ihrem fußballbegeisterten jüngeren Bruder Madikké. Dieser ist voller Erwartungen an seine „europäische“ Schwester und träumt von einer Fußballerkarriere in Europa. In einer metaphernreichen und unterhaltsamen Sprache lässt Diome die Ich-Erzählerin Salie von Telefonaten erzählen, in denen sie ihrem Bruder Spielzüge haarklein beschreiben muss, wenn auf der Insel Ndior mal wieder der einzige Fernseher ausgefallen ist. Aber Salie beschreibt auch die Frustrationen, die sie nicht nur in ihrem von Rassismus geprägten Alltag in Europa, sondern auch bei ihrer Rückkehr in eine Heimat erfährt, in der sie zur „Europäerin“ und Außenseiterin geworden ist: „Fahre ich nach Hause, dann komme ich in die Fremde, denn für die, die ich immer noch die Meinen nenne, bin ich die Andere geworden.“

Verfestigte Migrationsträume

Die Ausbildung und das Leben in Europa haben sie geprägt und lassen sie einen distanzierten Blick auf die Religiosität und die patriarchalen und polygamen Familienstrukturen auf ihrer Heimatinsel Ndior werfen. Wenn Salie dort zu Besuch ist, sind die Erwartungen an ihren Wohlstand und ihre Großzügigkeit groß. Die fußballverrückten Jungs im Dorf hingegen sind enttäuscht, dass sie von ihr so wenig in ihren Migrationsträumen bestätigt werden. Salies einziger Verbündeter ist der Lehrer und Fußballtrainer Ndataré, der als marxistischer Gewerkschafter auf die Insel Ndior strafversetzt worden ist und den jungen Männern, die er trainiert, immer wieder die Geschichte von Moussa erzählt: Ein junger Mann, dessen Fußballkarriere in Frankreich als illegalisierter Schiffsarbeiter endete und der sich kurz nach seiner Abschiebung und seiner Rückkehr nach Ndior das Leben genommen hatte.

Postkoloniale Realitäten

Im Jahr 2002, ein Jahr, bevor der Roman von Fatou Diome in Paris erschien, kam die senegalesische Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft bis ins Viertelfinale. Diese Sternstunde der senegalesischen „Löwen“ regt Salie, die sich selbst als „hybrides Wesen“ bezeichnet, im Buch zu Träumen an. Sie träumt von Interviews, in denen die zu großen Teilen in Frankreich trainierenden Nationalspieler „offen über den bitteren Teil ihres Lebens in Frankreich sprechen; die kalte Asche beschreiben, die von den lodernden Siegesfeuern übrigbleibt; […] nicht nur vom Jubel über geschossene Tore, sondern auch davon, dass dieselben Zuschauer Affengebrüll imitieren, sie mit Bananen bewerfen oder als dreckige Nigger beschimpfen, wenn sie einen Schuss verpatzen […] Dass sie in Frankreich, wo man sich mit ihren Leistungen schmückt, trotzdem nur eine befristete Aufenthaltsbewilligung haben.“ Aber sie zweifelt ebenfalls am Mut der „Saisonarbeiter des runden Leders“, all das zu erzählen und sie stellt angesichts des 1:0-Sieges Senegals gegen Frankreich im Eröffnungsspiel der WM provokant fest: „Wenn sie Senegal nicht einmal den im Schweiße seines Angesichts verdienten Sieg gönnen, ist es mit der Befreiung nicht weit her.“ Resigniert kommt sie gegen Ende des Buches zu dem Schluss, die WM sei vorbei, die Weltordnung aber unverändert.

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