Ausgabe Nr. 40 | bildung

„Bildungshunger und Wissensdurst sind keine Dickmacher“

Lothar Schmidt

Liebe und lernwillige Leser*innen,

das Jahr 2018 geht zu Ende, und es gab erstaunlich viel zu lernen, was wir eigentlich schon längst hätten wissen müssen: Zum Beispiel, dass Seenotrettung nicht verhandelbar ist; dass eine bayerische Grenzpolizei überflüssig und grober Unfug ist; dass eine Strafkolonie nichts anderes wird, wenn man sie Anker-Zentrum nennt; dass Rassismus nicht verschwindet, wenn man ihn ignoriert; und ganz allgemein, dass wir noch viel zu lernen haben.

Menschen sind unglaublich lernfähig, stoßen aber an Grenzen, wenn man ihnen Bildung verweigert. Das gilt für Asylbewerber*innen und Geflüchtete, denen die deutsche Gesellschaft viel abverlangt und wenig gibt, ebenso wie für die deutsche Gesellschaft selbst, die sich oft schwer damit tut, dass sie noch weit davon entfernt ist, alles zu wissen und zu können. Und in der wachsenden Frustration seitens Geflüchteter, Ehrenamtlicher und Unterstützer*innenkreise zeigen sich die großen Probleme, die eine Gesellschaft erzeugt, wenn sie Teilen ihrer selbst nicht die Möglichkeiten zu Bildung und Teilhabe gibt.

Wir haben für diese Ausgabe Menschen um ihre Perspektiven zu Bildung gebeten, und es ging nicht nur darum, wie Lernen funktioniert oder nicht funktioniert: Während einige Geflüchtete uns an ihren Problemen beim Lernen in und über Deutschland teilhaben lassen, erzählt uns Abdullah Zaal über die Probleme, als Geflüchteter in Deutschland Lehrer zu sein. Hubert Heinhold berichtet von seinem juristischen Kampf für die gleichberechtigte Beschulung geflüchteter Kinder. Suny Kim erklärt, wie man an zuverlässige Daten zum Thema Flucht kommt. Und auch sonst hoffen wir, euch zum Jahresende ein informatives und lehrreiches Heft an die Hand zu geben.

Einen wundervollen Start ins Jahr 2019 wünscht euch
eure Hinterland-Redaktion

Polizeigewalt gegen Geflüchtete rechtens?

Die massiven Polizeieinsätze in süddeutschen Aufnahme- und Abschiebelagern gegen hauptsächlich afrikanische Asylsuchende sind eine neue Strategie staatlicher Gewalt, in der es um eine Kooperation zwischen verschiedenen Behörden und Organen geht, u.a. Lagerleitung, Sicherheitspersonal, Polizei, Strafjustiz und Medien. Das Ziel dieser Einsätze ist die Einschüchterung der Geflüchteten sowie die Kriminalisierung jeglicher Solidarität. Wie diese Zusammenarbeit funktioniert und welche Rolle ins- besondere die Gerichte bei der Legitimierung dieser Form von Rassismus spielen, wurde vor dem Amtsgericht Augsburg am 7.11.2018 ausführlich verdeutlicht.

In der Verhandlung vor dem Amtsgericht Augsburg am 7.11.2018 verteidigten sich zwei gambische Geflüchtete gegen die Vorwürfe wegen Landfriedensbruch, der in der Nacht zum 14.3.2018 in der Erstaufnahmeeinrichtung Donauwörth stattgefunden haben soll. Zu der Verhandlung kam es, weil die zwei Gambier Rechtsmittel gegen ihre Strafbefehle eingelegt hatten. Zahlreiche Journalist*innen sowie solidarische Prozessbeobachter*innen aus verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen unter anderem aus München, Berlin, Stuttgart, Freiburg, Nürnberg, Augsburg und Wien waren zur Verhandlung und zur Kundgebung vor dem Gericht erschienen. Die ausführlichen Einlass- und Identitätskontrollen vor dem Gerichtssaal pro- duzierten ein Déjà-vu: An der Tür des Saals kontrollierten Polizeibeamt*innen Ausweise und verweigerten am Anfang gambischen Geflüchteten den Einlass, weil ihre Ausweise von der Ausländerbehörde als „ungültig“ gestempelt worden waren. Die Richterin reagierte zuerst auf die Beschwerde der Verteidigung mit dem Kommentar, dass „ungültig“ eben „nicht gültig“ hieße – als würde sie über diese häufig von bayerischen Ausländerbehörden eingesetzte, rechtswidrige Praxis, „ungültige“ Ausweise zu erteilen, nichts wissen. Ironischerweise war gerade die Abschaffung dieser rechtswidrigen Praxis sowie der damit zusammenhängenden tagtäglichen rassistischen Polizeikontrollen von Schwarzen Geflüchteten, eine der wichtigen Forderungen der gambischen Community in der Erstaufnahmeeinrichtung Donauwörth vor dem Polizeieinsatz am 14.3.2018. Am Amtsgericht Augsburg führte der kontrollierende Polizeibeamte diese Praxis einfach fort: „Den kann man doch dann gleich abschieben!“ Letztlich musste die Richterin den Betroffenen jedoch Zutritt zu der öffentlichen Verhand- lung erteilen.

(der ganze Artikel im PDF Format)

Lasst mich doch unterrichten!

Wir geflüchteten Pädagogen*innen bringen gute Qualifikationen mit

Ein persönlicher Erfahrungsbericht über die Möglichkeiten und Hürden, als geflüchteter Lehrer in Deutschland unterrichten zu dürfen.

Mein Name ist Abdullah Zaal. Ich war Mathematiklehrer auf einem Gymnasium in Damaskus. Daneben war ich dort auch Dozent für Informatik an der Universität. Ich hatte eine gute Ausbildung und habe sehr gerne unterrichtet. Im März 2013 musste ich nach Jordanien flüchten. Dort konnte ich legal nicht als Lehrer arbeiten. Im Herbst 2014 entschloss ich mich, die Flucht über das Mittelmeer nach Europa zu wagen. Seit September 2014 lebe ich in Deutschland. Mein Wunsch und meine Hoffnung war von Anfang an, hier wieder als Lehrer arbeiten zu können. Aus diesem Grund habe ich bereits in Jordanien angefangen, Deutsch zu lernen und mich vom ersten Tag an bemüht, mit Deutschen in Kontakt zu kommen. Allerdings durfte ich über ein Jahr lang keinen Sprachkurs besuchen. Da ich in einem sehr kleinen Dorf in Oberfranken untergebracht war, in dem es keine Schule gibt, kam ich auch mit dem deutschen Schulsystem nicht in Berührung.
Im Dezember 2015 betrat ich das erste Mal eine bayerische Grundschule. Ich wurde eingeladen, einen Tag lang in der Schule zu unterrichten. Ich habe den Kindern vor allem den Ursprung der arabischen Ziffern erklärt und über meine Erlebnisse gesprochen. Dieser Tag ist für mich ein wichtiger Einschnitt, an den ich mich sehr gerne erinnere. Das erste Mal hatte ich wieder Kontakt zu einer Schule!

(der ganze Artikel im PDF Format)

Angst vor der Anmeldung

Wie das Recht auf Bildung praktisch untergraben wird

Das Recht auf Bildung ist auf unterschiedlichsten Gesetzesebenen verankert, aber nicht in der deutschen Realität. Gerade für Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus sind die Hindernisse an Berliner Schulen zahlreich und vielfältig. Das muss sich ändern.

Jedes Kind hat ein Recht auf Bildung. So steht es in Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention. Auch das Berliner Schulgesetz verspricht allen Kindern das Recht auf schulische Bildung. Trotzdem wird Kindern, die über keinen legalen
Aufenthaltsstatus verfügen, dieses Recht in der Praxis häufig nicht gewährt: Zahlreiche formale und praktische Hürden verhindern den Schulbesuch gänzlich oder sorgen dafür, dass er mit großen Ängsten verbunden ist.

(der ganze Artikel im PDF Format)

Schulen ohne Abschiebung

Kinder und Jugendliche haben das Recht auf Bildung. Sie abzuschieben, nimmt ihnen dieses Recht.

„Ich verstehe das gar nicht. Wie kann man einen Menschen abschieben und sagen: Du gehst dann in deine Heimat. Das ist doch gar nicht meine Heimat. Ich meine, ich bin hier in Deutschland geboren. Und dann heißt das doch, dass hier meine Heimat ist.“ Als Anita das sagt, steht sie kurz vor ihrem Schulabschluss – und vor der Abschiebung. Die damals 15-Jährige ist in Göttingen geboren. Ihre Eltern sind 1999 vor dem Kosovokrieg geflohen, und in die Republik Kosovo, ein Staat, der damals noch nicht existierte, soll die Familie nun abgeschoben werden. Anita war noch nie dort, spricht kein albanisch, ist staatenlos. Zuhause ist sie in Göttingen.
Wie Anita geht es vielen jungen Roma, deren Eltern oder Großeltern vor den Kriegen im zerfallenden Jugoslawien geflohen sind. Sie wurden über Jahre, gar Jahrzehnte ‚geduldet‘, ihre Duldung immer wieder um einen kurzen Zeitraum verlängert. Besonders seit die Bundesregierung die sogenannten Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt hat, können sie sehr leicht abgeschoben werden, obwohl sie dort massive Diskriminierung, gesellschaftlichen Ausschluss und Gewalt erleben. Als Asylgrund wird das nicht anerkannt.

(der ganze Artikel im PDF Format)

Hinterland-40_zukunft