Der Ruf der Ferne

Von Bernard Schmid

Der Ruf der Fremde

Vom kruden Kolonialismus zur diffizilen neokolonialen Einflussnahme – Frankreich und seine postkoloniale Macht in Afrika.

Der gute alte Neokolonialismus ist auch nicht immer ganz das, was er mal war. Jedenfalls, so lange er seinen Akteurinnen und Akteuren – oder zumindest einigen unter ihnen – diesen besonderen Geschmack von „Abenteuer und Freiheit“ vermitteln soll, der einstmals Leute mit einem bestimmten Profil in die Kolonien lockte: „Sehen Sie Landschaften, die Sie noch nie betrachtet haben. Lernen Sie Leute kennen, wie Sie sie nie zuvor getroffen haben. Und zeigen Sie ihnen, wie überlegen Sie ihnen sind. Bei Bedarf – legen Sie sie um.“

Nur unwesentlich zugespitzt, lässt sich ungefähr so die Mentalität von KolonialabenteurerInnen und Kolonialabenteuerern und Militärs charakterisieren, die dereinst dem „Ruf der Ferne“ folgten. Beispielsweise nach Afrika. Der Kontinent erschien ihnen als gigantischer Sandkasten, der sich trefflich für Herrenmenschenspiele eignete. Zwar feierte die überwiegende Mehrheit der früheren afrikanischen „Besitzungen“ Frankreichs vor nunmehr genau fünfzig Jahren ihre formelle Souveränität als unabhängige Staaten: Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso (damals noch Obervolta), die Côte d’Ivoire, Togo, Bénin, Niger, der Tschad, die Zentralafrikanische Republik, Kamerun, Gabun und Kongo-Brazzaville wurden alle im Jahr 1960 unabhängig. Hinzu kam der Inselstaat Madagaskar. Nur die nordafrikanischen Maghreb-Staaten wurden zum Teil früher (Marokko und Tunesien, beide 1956) oder auch später (Algerien, infolge eines blutigen Unabhängigkeitskriegs, der von 1954 bis 1962 dauerte) unabhängig. Der nordostafrikanische Kleinstaat Djibouti, der vor allem als Militärbasis diente und noch immer dient, folgte hingegen erst im Jahr 1977.

Postkoloniale Liaisons

Aber in mehreren dieser Staaten blieben französische Truppen stationiert und ihre Regierungen waren durch so genannte „Verteidigungsabkommen“ mit der französischen Republik liiert. In einigen Fällen, wie im Falle des bilateralen Abkommens mit dem erdölund metallerzreichen Gabun aus dem Jahr 1961, wurde sogar explizit ein „privilegierter Zugang Frankreichs zu den Rohstoffen“ als Bestandteil der „gemeinsamen Verteidigungspolitik“ festgeschrieben. Oft enthielten diese Abkommen zudem Geheimklauseln, in denen die französische Staatsmacht den jeweiligen Machthabern – meist aus der Armee oder den kolonialen Verwaltungseliten hervorgegangene Potentaten – eine Art politischer Lebensversicherung ausstellte: Sollte es zu einer bewaffneten Rebellion, einer Meuterei von Truppen oder auch Massenunruhen kommen, würde die französische Staatsmacht zu Gunsten der Machthaber eingreifen. Wie sie dies beispielsweise im Mai 1990 in Gabun tat: Dort waren durch Demokratieforderungen motivierte Unruhen ausgebrochen, nachdem am 23. April jenes Jahres in der Hafenstadt PortGentil ein Oppositionspolitiker ermordet worden war. Am 22. April hatte das Regime (unter französischem Druck) formell das Mehrparteiensystem, den politischen Pluralismus und die Demokratie ausgerufen – im Kontext des Aufbruchs der afrikanischen Demokratiebewegungen, die durch die Fernsehbilder vom Zusammensturz der Regime im sowjetischen Block beflügelt worden waren. Doch am folgenden Tag zeigte die herrschende Oligarchie, die davon lebt, dass sie die Erdölrente abschöpft und mit französischen Wirtschaftsunternehmen teilt, während die Mehrheit der Bevölkerung leer ausgeht, bereits, welch enge Grenzen sie der Demokratie zu setzen gewillt war. Als die Opposition daraufhin eine Rebellion anzettelte und zudem Einrichtungen des französischen Erdölkonzerns Elf-Aquitaine (heute Total) besetzte, weil dieser eine Hauptstütze des Regimes darstellte, landeten französische Fallschirmjägertruppen und die Fremdenlegion. Nun war Schluss mit lustig – und mit falschen Demokratiehoffnungen.

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