(K)Eine letzte Chance?

Von Birgit Neufert

Durch die verschärfte Abschiebepolitik der Bundesregierung wenden sich immer mehr geflüchtete Menschen an Kirchen und bitten um Schutz. In einem Bericht aus der Beratungspraxis werden die Möglichkeiten und Grenzen von Kirchenasyl geschildert.

Das Telefon klingelt. Es ist Abdiyo Salah. Sie kommt aus Somalia. In Norwegen hatte sie ihren ersten Asylantrag gestellt. Abgelehnt. Nun soll sie zurück nach Norwegen, weil Deutschland gemäß der europäischen „Dublin III“-Verordnung formal nicht zuständig ist. „Can the church protect me?“, fragt sie. Wenig später die nächste Anfrage. Diesmal per E-Mail. Elisa Fleming unterstützt Geflüchtete in Hamburg. Heute schreibt sie mir von Rima Ahmadi und ihrer Familie. Frau Ahmadi, ihr Mann und ihre zwei Kinder kommen aus Syrien. Sie sollen nach Bulgarien „rücküberstellt“ werden, wie es die „Dublin III“- Verordnung formuliert. Dort hatten sie gezwungenermaßen ihre Fingerabdrücke hinterlassen. Doch Deutschland erklärt sich für nicht zuständig. Unterlassene medizinische Versorgung, körperliche Gewalt durch die Polizei und rassistische Beschimpfungen auf der Straße: Was die Familie in Bulgarien erlebt hat, steht für das, was Geflüchteten dort regelmäßig widerfährt. Der darauffolgende Tag beginnt, wie der vorige aufgehört hat. Diesmal klingelt ein junger Mann aus Afghanistan an der Tür. Jawad Aziz steht mit gepackten Sachen vor meinem Büro. Er begrüßt mich zurückhaltend und freundlich und äußert dann sofort sein Anliegen: „Ich brauche Kirchenasyl.“

Diese und ähnliche Szenen finden zurzeit in ganz Deutschland statt. Immer mehr Menschen wenden sich an Kirchengemeinden und Beratungsstellen und bitten um Hilfe. Immer mehr Menschen sollen abgeschoben werden – in ihr Ankunftsland in Europa oder in ihr Herkunftsland, nach Italien, Ungarn, Afghanistan oder Mazedonien. Die politische Linie ist klar und deutlich: Es geht um Abschreckung, nicht um Aufnahme. Es geht um Symbolpolitik, nicht um Realitäten. Es geht um Zahlen, nicht um Menschen. Je mehr Menschen in menschenunwürdige oder sogar lebensbedrohende Verhältnisse abgeschoben werden oder werden sollen, desto mehr wenden sich hilfesuchend an die Kirche, das heißt an die vielfältigen Akteur*innen in den evangelischen Landeskirchen, den katholischen Diözesen und Bistümern sowie Freikirchen. Sie bitten Pastor*innen, Kirchengemeinden und kirchliche Beratungsstellen um Unterstützung. Durch die verschärfte Abschiebepolitik der Bundesrepublik Deutschland und der europäischen Staatengemeinschaft erhöht sich somit auch der Druck auf die Kirchen und der Beratungsbedarf und die Notwendigkeit von Kirchenasyl wachsen. Zum einen ist die Verzweiflung geflüchteter und sie unterstützender Menschen groß. Zum anderen geht von staatlicher Seite auch unmittelbarer Druck aus. Während führende Mitarbeitende des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit den Verantwortungsträger*innen der Kirchen verhandeln, zeigen erstere immer wieder ihre Unzufriedenheit mit der wachsenden Anzahl von Kirchenasylen. Dabei erscheint die Zahl angesichts der Gesamtzahl der Geflüchteten und der vermehrten Abschiebungen nicht allzu groß. Gemeinden verhindern gegenwärtig durch bundesweit circa 340 Kirchenasyle die Ab- schiebung von über 550 geflüchteten Menschen. Das klingt in der Zahl wenig, unbeachtet bleibt hier jedoch das in den letzten Jahren stark gewachsene Engagement von Kirchengemeinden.

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