Zschäpes offenes Haar

Von Friedrich C. Burschel

Nach 250 Prozesstagen zieht die Hauptangeklagte im NSU-Prozess einmal mehr alle Augen auf sich: Von der Fixierung auf Täterinnen und Täter und den Ansprüchen der Geschädigten.

Seit Wochen wabern Gerüchte und Andeutun- gen in und um den Saal A101 durch die
Gänge, Flure und Wartezonen, fliegen geschwätzig durch die Zuschauenden- und Medien- reihen auf der Empore und waren zuletzt sogar im Fernsehen in einer der zahllosen TV-Dokus zum NSU zu vernehmen: Die illustre Hauptangeklagte im NSU- Prozess vor dem Oberlandesgericht in München wolle sich – endlich – einlassen. Besonders geschmackssichere Raunende wählten dafür die zum Prozess, in dem es um zehn Morde, mindestens drei Sprengstoffanschläge und 15 Bank- und Raubüberfälle geht, passende Formulierung: Eine Bombe werde platzen. Das Rennen machte zum Schluss einmal mehr das „Qualitätsmedium“ Der Spiegel, indem es die bis dahin wohl gehütete Nachricht am Montag, 9. November 2015, hinausposaunte: „Beate Zschäpe will am Mittwoch umfassend aussagen.“ In der Printausgabe 47/2015 triumphiert Wiebke Ramm dann über den Coup: „Spiegel online kam ihm zuvor,“ schreibt sie und macht so klar, wer in diesem Prozess den Ton angibt: Nicht der Vorsitzende Richter Manfred Götzl mit seinem umfassenden Machtanspruch, der am folgenden Tag alle Prozessbeteiligten über das bevorstehende Ereignis informieren wollte, sondern das „große Nachrichtenmagazin“, das sich für die exklusive Topmeldung gerne zum Instrument verschiedener Interessen machen lässt, die auf das Verfahren Einfluss nehmen wollen. Sicher hat es dem Spiegel auch am Kiosk nicht geschadet, wieder mal „Number One“ gewesen zu sein. Schon tags darauf, also am Tag vor der angekündigten Aussage, war Sendezeit und Platz auf den Titelseiten genug für die zu erwartenden Topmeldungen organisiert und frei gekämpft worden: Vor dem Strafjustizzentrum in der Nymphenburgerstraße standen sich die Kamerateams und Bildschaffenden die Füße platt, auf den Medienplätzen drängelten sich Kolleginnen und Kollegen, die man schon lange nicht mehr im Prozess gesehen hatte.

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