Mit dem Messer der Kritik zum faulen Kern

Mit dem Messer der Kritik zum faulen Kern

Noborder und kritische Theorie

Das Projekt einer Abschaffung von Migrationskontrollen gilt heute als naiv, als im schlechten Sinne utopisch. Eine kritische Theorie der Migrationspolitik kann dazu beitragen, dieses Projekt sagbar und vertretbar zu machen.

Seit der Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre haben die Industriestaaten des Globalen Nordens ihre Migrationskontrollen immer weiter verschärft. Tausende von Toten fordert ihr unerklärter Krieg gegen Flüchtlinge und Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter Jahr für Jahr. Sie überziehen die Erde mit Visaregimen, Abschiebeknästen und biometrischen Kontrollen und sie träumen davon, menschliche Mobilität zu „managen“. Obgleich es ihren Kontrollinstitutionen nicht gelingt, die Mobilität zu stoppen, illegalisieren und entrechten sie Millionen. Viele Menschen, bis weit in den liberalen Mainstream hinein, empfinden Unbehagen und Scham, Trauer und Zorn, wenn sie an diese Folgen denken. Seit Beginn der 1980er Jahre kritisieren Kirchen, NGOs und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Politik im Namen von Flüchtlingsschutz und Menschenrechten. Doch ihre „sentimental humanitäre Sprache“, so formulierte schon Hannah Arendt polemisch, unterscheidet „sich oft nur um ein Geringes von den Broschüren der Tierschutzvereine“. Ihrer menschenrechtsorientierten Kritik gelang es nicht, die repressive Tendenz der Migrationspolitik zu brechen.

In Reaktion auf ständige Verschärfungen radikalisierten migrantische Basisorganisationen und antirassistische Gruppen ihre Kritik. Sie fordern „Bleiberecht für Alle“, „globale Bewegungsfreiheit“ und „No Border! No Nation!“. Sie lehnen Migrationskontrollen grundlegend ab, begreifen es als legitim, wenn Menschen durch Migration Schutz und ein besseres Leben suchen, und verstehen es als ungerecht, diese Mobilität zu stoppen. Ihrer Kritik liegt ein „Existenzialurteil“ (Max Horkheimer) zugrunde, das sich grob so formulieren lässt: Staatliche Migrationskontrollen sind tödlich. Sie sind ungerecht und zutiefst unmenschlich. Faire und humane Kontrollen sind unmöglich. Migrationskontrollen sind keine Naturnotwendigkeit. Sie sind menschengemacht und sie müssen und können abgeschafft werden.

Diese Noborder-Kritik ist inspirierend und oft kaum mehr als eine Provokation. Häufig bleibt unklar, was damit genau gemeint ist. Es bleibt unklar, wie man ein solch weitreichendes Projekt gegen die unweigerliche Ablehnung rechtfertigt und was die Bedingungen für eine Welt ohne Grenzen wären. Wie etwa hängen Migrationskontrollen und Kapitalismus zusammen und wie somit die Kämpfe gegen sie? Der vorliegende Text1 nimmt Begriffe der kritischen Theorie zum Ausgangspunkt, um Bedingungen und Methoden einer radikalen Kritik von Migrationskontrollen etwas klarer zu machen.

(der ganze Artikel im PDF Format)