Ein Platz an der Sonne

Von Katharina Ruhland

Ein Platz an der Sonne

Kolonialismus war in der deutschen Geschichtsschreibung seit 1945 lange Zeit ein wenig bearbeitetes Feld. In einer auf den Nationalstaat fixierten Wissenschaft erschienen die Kolonien als ferne Orte, die in außenpolitischen Erwägungen wichtig sein konnten, darüber hinaus jedoch die deutsche Geschichte scheinbar wenig berührten. Genährt wurde diese Argumentation durch die Tatsache, dass Deutschland offiziell nur dreißig Jahre lang über ökonomisch wenig bedeutende außereuropäische Gebiete verfügt hatte. Es wurde vergessen, dass Deutschland zeitweise die drittgrößte Kolonialmacht der Welt gewesen war. Der frühe Verlust der Kolonien, der im Versailler Vertrag 1919 festgeschrieben wurde, ließ Deutschland vergleichsweise unberührt von den Dekolonisationskämpfen der Nachkriegszeit.

Die Folge war, dass bis in die 1980er Jahre in Deutschland kaum über die Brutalität der deutschen Kolonialherrschaft und ihre verheerenden Konsequenzen für die ehemaligen Kolonien gesprochen wurde. Erst in den vergangenen zwanzig Jahren begann in Deutschland langsam eine Auseinandersetzung mit einer Kolonialgeschichte, die nicht nur ideengeschichtlich lange vor ihren „offiziellen“ Beginn 1884 zurückreicht: Denn schon sehr viel früher gab es Denkweisen, Phantasien, Kulturprodukte und Praktiken, die sich als moderner und keineswegs homogener Kolonialdiskurs, in dessen Zentrum die Produktion von Alteritäten stand, beschreiben lassen und mit dem die unmittelbare Herrschaft erst denk- und praktizierbar wurde. Die deutsche Kolonialgeschichte endet auch nicht mit der erzwungenen Abgabe der Kolonien, sondern setzt sich in ihren Auswirkungen und Ideen fort und prägt unsere Gesellschaft bis heute. Im Folgenden wird es allerdings um die Zeit der „offiziellen“ Kolonialherrschaft und deren unmittelbarer Vorgeschichte gehen.

Deutsche Kolonialbewegung

Die Anfänge der organisierten deutschen Kolonialbewegung fielen in den 1870er Jahren in eine Zeit des wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Umbruchs in einer durch die industrielle Revolution mobilisierten Gesellschaft. Die Vielfalt der Motivationen spiegelte sich in den Argumenten der frühen „Kolonialpropagandisten“. Das nicht zuletzt wegen der verschärften sozialen Frage als bedrohlich wahrgenommene Bevölkerungswachstum wurde zu einem Argument für die angestrebte Expansion, die „Raum“ für Auswanderung bieten sollte. In ihm schienen nationalistische Motive auf: Der Erwerb „eigener“ Kolonien sollte die Migration aus Deutschland dorthin leiten und die Migrant_innen1 sowohl für die deutsche Wirtschaft als auch für die Verbreitung der „deutschen Kultur“ „produktiv“ machen. Dieses Motiv stand im Rahmen einer Debatte über „Deutsch-Sein“, die im kolonialen Kontext Begriff und Sinn von „Auslandsdeutschtum“ erst erschuf und „Verjüngung“ und Stärkung der Nation durch das Wirken „Deutscher“ im Ausland realisiert sah.

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