Ausgabe Nr. 48 | raum


Liebe Leser*innen,

es ist ein (T)Raum. Wie passend es doch ist, dass ausgerechnet die Hinterland-Ausgabe mit dem Schwerpunktthema „Raum“ diejenige ist, die am meisten Raum einnimmt. Mit 140 Seiten ist dies die umfangreichste Ausgabe, die wir jemals gemacht haben. Das ist ja ein dickes Ding.

Ein dickes Ding ist auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Berliner Mietendeckel. Das Gericht hat einer Klage der Korruptionsgewinnler von Union und FDP gegen die Beschränkung von Höchstmieten stattgegeben, wodurch nun hunderttau- sende Berliner Mieter*innen darum bangen müssen, ob sie künftig ihre Wohnungen noch bezahlen werden können – damit ereilt sie dasselbe Schicksal wie die Menschen in München, Frankfurt oder Hamburg, wo die Mieten seit Jahren in absurde Höhen steigen. In der Begründung des BVerfG hieß es allerdings nicht, dass ein Mietendeckel an sich verfassungswidrig sei, sondern dass die Gesetzgebung in Berlin dies nicht beschließen könne und dass dies durch ein Bundesge- setz geregelt sein müsse.

Es gibt eben doch Möglichkeiten der Politik, regulativ in den Wohnungsmarkt einzugreifen. Und das Grundgesetz bietet noch mehr: Denn in Artikel 14 GG heißt es nicht nur, dass „Eigentum verpflichtet“, sondern auch, dass „eine Enteignung […] nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“ ist – und Wohnen dient ja wohl dem Wohle aller. Sollte der Staat also einmal nicht nur als ideeller Gesamtkapitalist agieren, stünden Mittel und Wege offen …

Doch das Thema Wohnen ist nur ein kleines Feld in den unendlichen Weiten des Raums, den diese Ausgabe der Hinterland untersucht. Vom privatesten Raum über öffentliche Räume über Schutzräume und Räume des Gedenkens bis hin zu den Weiten des Meeres und sogar bis zum Weltraum ist alles vertreten.

Apropos Weltraum: Zum Mond schießen lässt sich auch die Corona-Politik der deutschen Regierungen. Während im Privaten die Einschränkungen immer strenger werden, wird der Wirtschaft jeglicher Raum gelassen. Während ein Treffen im Privaten nur mit einer Person erlaubt ist, darf man in überfüllten U- Bahnen, in denen kaum Raum zum Atmen bleibt, in die Arbeit fahren. Dort darf man dann in schlecht belüfteten Räumen am Fließband, im Schlachthof, im Call-Center oder am Schreibtisch neben dutzenden anderen buckeln. Nicht einmal eine Testpflicht gibt es, nur ein Testangebot. Wenn die Politik den Laden einfach für drei Wochen zusperren würde, dann hätten wir auch wieder mehr Spiel- und Freiraum.

Doch die Isolation hat zumindest den kleinen Vorteil, dass somit mehr Zeit bleibt, die Hinterland zu lesen. Und dass diese Ausgabe wieder eine ganz besondere ist, haben wir auch dem großartigen rasso rottenfusser zu verdanken, der an der Gestaltung mitgewirkt hat. Nicht nur das Titelbild hat er beigesteuert, auch viele Illustrationen und Designelemente von ihm ziehen sich durch das gesamte Heft und nehmen Raum ein, machen Raum deutlich. Und einen eigenen Raum bekommen ab jetzt auch die neuen Kolumnen „Tabea teilt aus“ von Tabea Danner und „Es bleibt kompliziert“ von Jan Kavka.

Bis dahin: Hört nicht auf, euch Freiräume zu erkämpfen!
Eure Raumwunder von der Hinterland-Redaktion

Wenn Migrant*innen und Geflüchtete gewaltsam verschwinden

An den Außengrenzen der EU sind es menschenunwürdige und überfüllte Lager, gewaltsame Push-Backs und Leichen an den Mittelmeer-stränden. In Zentralamerika sind es tausende Menschen in Flüchtlingskarawanen mit dem Ziel USA, die auf ihrem Weg der Gewalt durch guatemaltekische oder mexikanische Sicherheitskräfte und organisierte Kriminelle ausgesetzt sind. In Asien arbeiten Menschen ohne jegliche Absicherung für einen Hungerlohn auf Großbaustellen oder in Privathaushalten. Dies sind nur die besonders sichtbaren Beispiele dafür, welche Gefahren Menschen auf sich nehmen, um Krieg, Gewalt und Armut zu entkommen und ein besseres Leben zu finden. Ihre Wege werden gefährlicher, weil die Migrationspolitik weltweit immer restriktiver wird und legale Migrationswege zunehmend versperrt werden. Der aggressive Diskurs gegen Migrant*innen, Geflüchtete und Asylsuchende und der ihnen oft verwehrte Zugang zu Recht verstärken die Verletzlichkeit dieser Menschen zusätzlich. Je mehr sie in Medien und Politik nur noch als amorphe Menge statt als Individuen wahrgenommen werden, umso geringer wird die Bereitschaft von Staaten nach ihnen zu suchen. Das Risiko für Migrant*innen und Menschen auf der Flucht, Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen zu werden, ist in den vergan- genen Jahren deutlich größer geworden.

Schon als Abgeordnete des Europaparlaments von 2009 bis 2019 habe ich mich viel mit der europäischen Flüchtlingspolitik und der Menschenrechtslage von Geflüchteten und Migrant*innen weltweit beschäftigt. Ich weiß um die Tausende von ihnen, die jedes Jahr auf dem Weg in das Zielland verschwinden. Diese Zahlen werden zukünftig eher noch steigen, auch wenn längst nicht alle Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen sind. Die Dunkelziffer ist sehr hoch, auch weil bei den vielen Haftzentren, in denen Migrant*innen gefangen gehalten werden, es nahezu unmöglich ist, Fälle von gewaltsam Verschwundenen Migrant*innen zu belegen.

(der ganze Artikel im PDF Format)

Vom Wohntraum und fehlendem Wohnraum

„Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort“, mahnte die Bundeskanzlerin Angela Merkel Mitte Oktober 2020 in ihrem Video-Podcast anlässlich der steigenden Corona-Infektionszahlen. Doch wie zuhause bleiben und sich und die anderen schützen, wenn man kein Zuhause, keinen privaten Wohnraum hat? Für Menschen, die in beengten Wohnverhältnissen oder in Not- und Gemeinschaftsunterkünften leben, bedeutet die Corona-Pandemie eine enorme Herausforderung, die schon unter regulären Bedingungen schwer zu bewältigen ist.

Seit dem Frühjahr 2020 spitzt sich die Wohn- und Unterbringungssituation für Menschen, die sich schon bis dato in prekären Lebenslagen befanden, mit jedem weiteren Lockdown-Tag immer weiter zu. Wie lernen und online am Deutschunterricht teilnehmen, wenn Wohn- und Esszimmer zugleich Schlaf- und Kinderzimmer sind und man sich dieses all-in-one-Zimmer mit vier Weiteren teilt?

Mehr denn je zeigt sich gerade in Zeiten von Home- schooling und stay-at-home-Geboten wie wichtig privater Wohnraum ist, da sich räumliche Enge, mangelnde Privatsphäre oder fehlende Lern- und Rück-zugsräume nicht nur auf den Gesundheitszustand negativ auswirken. Auch Lern- und Schulerfolge wie ganz allgemein die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe leiden darunter.

(der ganze Artikel im PDF Format)

Mind the gap oder: Was wir sehen, wenn wir nichts sehen

Was haben die Proteste von trans*Personen, Schwulen und Lesben im Stonewall Inn in der Christopher Street in New York mit dem Internationalen Mahnmal der KZ-Gedenkstätte Dachau zu tun? Es handelt sich um zwei unter- schiedliche Orte, um unterschiedliche Geschichten, die letztendlich jedoch miteinander verwoben sind. Das Stonewall Inn ist Ausgangspunkt und Referenzpunkt für eine weltumspannende Bewegung, die an vielen Orten Freiräume und Anerkennung für queere Personen erkämpft hat. Dachau steht, weltweit bekannt, für Terror und Vernichtung von Leben im Nationalsozialismus und wurde zu einem wichtigen Erinnerungsort in Deutschland – zu einem Ort also, an dem der Opfer gedacht und Erinnern an den Nationalsozialismus auch über Bildungsarbeit praktisch umgesetzt wird. KZ-Gedenkstätten spielen mittlerweile eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von NS- Geschichte. Sie sind allerdings inzwischen selbst historische Orte des Erinnerns geworden. An ihnen bildet sich ab, wie sich Erinnern verändert und welche machtvollen Aushandlungsprozesse dabei eine Rolle spielen. Wir wollen in unserem Text nachvollziehbar und konkret machen, dass in diese Aushandlungs- prozesse des sich Vergegenwärtigens soziale Ungleich- heiten und Diskriminierungen einfließen, die sich im öffentlichen Raum niederschlagen. Wir wollen zudem zeigen, wie soziale Bewegungen, die zunächst überhaupt nichts mit dem Erinnern an den National- sozialismus zu tun haben, sich doch darauf auswirken.

(der ganze Artikel im PDF Format)

Who is a refugee?

Die deutsche Übesetzung des Textes findet ihr hier >>>

Aus dem griechischen Auffanglager in Ritsona schickt der Blog Birds of Immigrants die Stimmen von Geflüchteten in alle Welt. Text Nummer 19 vom März 2020 reflektiert darüber, wer oder was das ist, ein*e Geflüchtete.

A refugee is someone who, once, had a normal life, a home for his family, a school for his children, a hospital. He enjoyed respect and dignity. He had friends, relatives and basic humans’ rights. He had dreams, hopes, plans for the future. What he did not have was safety. That was taken from him by political and economic games.

A refugee is that brave father and that courageous mother, who pluck their courage to protect their family and chose to leave their country and undertake a voyage with death lurking along the way.

A refugee is a person who struggles many years, in many countries, his safety always threatened, his days filled with the sounds of bombs and explosions. A refugee is a person who has seen the hospitals and schools destroyed under fire.

A refugee is a person, who amid the bombs, the explosions, the fires, he does not give up his hopes for a new life for himself and his children, for safety, for peace, for nights with dreams rather than nightmares. A refugee dreams of a day when the news does not report numbers of killed or injured, does not recount bloody suicide attacks.

(der ganze Artikel im PDF Format)
Foto: Sarah McHardy
Foto: Sarah McHardy