Wir schengen euch nix

Von Nikolai Schreiter

Wir schengen euch nix

Fünf Tage für Bewegungsfreiheit, fünf Tage gegen Grenze und Nation, fünf Tage Aktionen, Demos, Workshops, Diskussionen und Selbstorganisation: Herzlich Willkommen auf dem NoBorder-Camp. Das letzte hat Ende August in Bulgarien, im kleinen Dorf Siva Reka nahe der Grenzen zu Türkei und Griechenland stattgefunden.

Eine Kreuzung, eine Kneipe, ein paar Häuser, ein paar Höfe, ein kleines Dorf in der südbulgarischen Peripherie nahe der Grenze zur Türkei. Rundherum Landschaft, alle halbe Stunde ein Auto. Was dieses Dorf von so vielen anderen unterscheidet: Ein nagelneuer, großer, grüner Jeep, drei Bedienstete der Border Police sitzen daneben und essen gelangweilt Aprikosen von einem kleinen Baum. Noch haben sie offensichtlich wenig zu tun, die bulgarischen Grenzschützer. Noch, denn der Schengenbeitritt steht an und wirft seine Sicherheitsschatten voraus. Sobald Bulgarien teil des Schengenraumes sein wird, werden mehr Menschen als bisher undokumentiert über die bulgarische Grenze wollen. Das ist der Grund für die massive Präsenz der Sicherheitskräfte, für den Bau von Abschiebeknästen, für schärfere Grenzkontrollen, für die Entsendung von Experten und Expertinnen von Frontex, der Europäischen Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen. Und dies wiederum sind die Gründe, warum das NoBorder-Camp in Siva Reka stattgefunden hat, in einem anderen kleinen Dorf, zehn Kilometer von der Grenzstadt Svilengrad entfernt. 250 bis 300 Aktive kamen dort vom 25. bis 29. August zusammen, um ihrem Protest gegen das europäische Grenzregime, gegen Grenzen, Nationen und Abschiebungen Ausdruck zu verleihen.

Frontex kills!

Erklärte Ziele des Camps waren es, die Aufmerksamkeit der örtlichen Bevölkerung, der Medien und der so genannten internationalen Gemeinschaft zu erregen, das NoBorder-Netzwerk auszuweiten, lokale Solidarität zu wecken und zu vertiefen und Einzelfälle von Migranten und Migrantinnen zu erfassen. Das Camp wurde von Anfang an als dezidiert gewaltfrei angekündigt und durchgeführt, um Solidarität und positive Assoziationen mit Migration zu erzeugen, außerdem sind Strategien der Polizei im protestunerfahrenen Bulgarien schwer einzuschätzen – gerade kurz vor dem anstehenden Beitritt zum SchengenAbkommen. Denn jeder Anschein von Kontrollverlust über die Sicherheit der Grenzen könnte den Beitritt weiter hinauszögern. Die Entscheidung zur Gewaltfreiheit war im Vorhinein vom Organisationsteam getroffen worden und sorgte erwartungsgemäß auf dem Camp für Diskussionen. Manche wollten gewohnte Aktionsformen angesichts der drohenden und unabschätzbaren Repression nicht ändern; im Verlauf des Camps allerdings entwickelte sich doch so etwas wie eine allgemeine Akzeptanz und Verständnis für den Verzicht auf Gewalt in diesem Kontext.

28Die erste Demonstration fand in Svilengrad statt, in der Fußgängerzone gab es viele kleine Aktionen. Schließlich zog die Demonstration durch die Stadt, vor das Hauptquartier der bulgarischen Grenzpolizei. Die Abschlusskundgebung mit der Aussage: „Frontex kills!“ war begleitet vom Niederlegen alter Schuhe und Teelichter in Erinnerung an die vielen Toten, die das europäische Grenzregime schon gefordert hat. Aus dem absolut gewaltfreien Gedenken machte eine große bulgarienweit erscheinende Zeitung den Versuch, Polizeiautos mit Kerzen anzuzünden und dichtete den Aktiven unter anderem den Gebrauch von Molotowcocktails an. Vor dem Hintergrund, dass dies alles frei erfunden war, schien das enorme Polizeiaufgebot mehr als übertrieben: Bei jeder der Aktionen waren martialische Riot Cops anwesend – meist versteckt, Wasserwerfer wurden in Bereitschaft gehalten und teilweise auch Hundestaffeln.

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