Sternenliebe

Von Tom Reiss

Sternenliebe

Über (vermeintlich) alternative Entwürfe von Liebe und Sexualität in der Science Fiction.

„Sieben Tage und sieben Nächte dauerte die Luftreise; am achten Tag erblickten wir in der Luft ein großes Land wie eine Insel, strahlend, kugelförmig und von einem hellen Licht beschienen. Wir fuhren darauf zu, warfen den Anker und stiegen aus; bei näherer Erkundung fanden wir heraus, dass das Land bewohnt und bestellt war.“ (Lukian 11)

Dieser Bericht könnte ohne Schwierigkeiten Science Fiction des 20. Jahrhunderts sein; es handelt sich aber um eine Erzählung des griechischen Satirikers Lukian von Samosata aus dem 2. Jahrhundert und die erste überlieferte fiktionale Raumfahrterzählung. Lukians Erzähler reist per Schiff zum Mond und zum Morgenstern, trifft auf phantasti – sche Wesen und nimmt an interstellaren Konflikten teil, ähnlich wie es beinahe 2000 Jahre später zahllose Weltraumreisende in Romanen, Filmen und Fernsehserien tun und dabei ebenfalls in Situationen geraten, die sie von den Normen und Gebräuchen der Erde und der Menschheit entfremden.

Schon bei Lukian ist die Art von Entfremdung, die dem Erzähler am beschreibenswertesten erscheint, die Entfremdung von ihm bekannter Liebe und Sexualität; die monogame Bindung von Mann und Frau rückt mit der steigenden Distanz zur Erde in weite Ferne und weicht nicht nur fremden Orten und Wesen, sondern auch neuen Konzepten von Geschlechtlichkeit. So beschreibt Lukians Erzähler seine Zeit auf dem Mond wie folgt:

„In der Zeit, in der ich auf dem Mond lebte, sah ich viele neue und seltsame Dinge, von denen ich berichten will. Zunächst werden die Bewohner nicht von Frauen geboren, sondern von Männern. Die Männer heiraten nämlich untereinander und kennen das Wort ‚Frau‘ überhaupt nicht. Bis zum Alter von fünfundzwanzig Jahren lässt man sich heiraten, dann heiratet man selbst. Kinder tragen sie nicht in der Gebärmutter aus, sondern in der Wade. Sobald sie empfangen haben, schwillt die Wade an, und kurze Zeit später schneiden sie diese auf und nehmen das Kind tot heraus. Sie halten es dann mit geöffnetem Mund dem Wind entgegen und beleben es auf diese Weise.“ (Lukian 21)

Im Laufe der weiteren Ausführungen wird tatsächlich deutlich, dass die Begriffe „Mann“ und „Frau“ der Geschlechtlichkeit dieser Mondmenschen kaum gerecht werden, und dass hier nicht nur die Schilderung unbekannter biologischer Voraussetzungen stattfindet, sondern ebenso die Performation alternativer Geschlechter; Fortpflanzung scheint nicht durch biologische Geschlechter begrenzt:

„Es gibt bei ihnen eine Sorte von Männern, die wir Baummenschen nennen und die auf folgende Weise entstehen: Wenn man die rechte Hode eines Mannes abschneidet und in die Erde pflanzt, dann wächst daraus ein sehr großer und fleischiger Baum in Form eines Phallus. Dieser trägt Zweige und Blätter, und seine Früchte sind ellenlange Eicheln. Wenn sie reif sind, meißelt man Menschen aus ihnen heraus. Sie haben künstliche Geschlechtsteile, die teils aus Elfenbein, teils (bei den Armen) aus Holz gefertigt sind und beim Geschlechtsverkehr mit ihren Gatten benutzt werden.“ (Lukian 22)

(der ganze Artikel im PDF Format)