„Schlepper“,„Schleuser“ – Wahnvorstellung

Von Katharina Menschick

„Schlepper“, „Schleuser“, Wahnvorstellung

Wie die Vorstellung vom „Schlepper“ als absolutem Bösewicht hilft, die Grenzen dicht zu halten.

Das EU-Grenzregime mordet vor den Augen der Öffentlichkeit. Die Berichterstattung über das Sterben an und vor den Grenzen basiert dabei längst nicht mehr auf dem Narrativ des traurigen Einzelfalls, lediglich die Opferzahlen variieren in den immergleichen Meldungen. In der Regel werden die Verantwortlichen für die „Flüchtlingskatastrophen“ gleich mitgenannt : Es seien die „Schlepper“, wahlweise auch als „Menschenschmuggler“ bezeichnet, die die Toten zu verantworten hätten.

Im Oktober 2013 starben mehr als 360 Menschen vor Lampedusa. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ schrieb am Tag nach dem „Unglück“: „Die Toten von Lampedusa sind nicht die Ersten und sie werden wohl nicht die Letzten sein. Zu einträglich ist das Geschäft skrupelloser Schlepper.“ Der damalige Innenminister Deutschlands, Hans-Peter Friedrich, forderte kurz darauf härtere Maßnahmen gegen „Schlepperbanden“, denn – so Friedrich: „Die Schleuser-Verbrecher sind es, die die Menschen mit falschen Versprechungen in Lebensgefahr bringen und oftmals in den Tod führen.“ Dem schloss sich die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner an: „Die Schuldigen sind die Schlepper, die die Toten am Gewissen haben.“

Reflex statt Reflexion

Der „Schlepper“ fungiert nicht zuletzt in der politischen Debatte als Projektionsfläche und Feindbild, dass dann zum Einsatz kommt, wenn die mitunter tödlichen Konsequenzen des Grenzregimes nicht mehr zu leugnen sind oder wenn es darum geht, den Zugang zur Festung Europa noch weiter zu erschweren.

Zum Allgemeinwissen über die „Schlepper“ und die „Banden“, die sie angeblich bilden, zählt, dass sie rücksichtslos und menschenverachtend agieren, um ihre schmutzigen Geschäfte mit der Not von Flüchten den und Migrierenden zu machen. Dass die tatsächliche Not so vieler Menschen aus globalen Ausbeutungsverhältnissen, Kriegen und den mittlerweile militärisch verteidigten (supra)national staat – lichen Grenzen resultiert, bleibt dabei unerwähnt. Das Grenzregime kann unbehelligt weiter wüten und ausgebaut werden. Die allgemeinen Annahmen über „Schlepper“ und die reflexhaften Schuldzuweisungen sind dabei längst an die Stelle einer Reflexion über die tatsächlichen Gründe für das Leiden getreten. Es sind diese fixen Vorstellungen, die im Folgenden kritisiert werden sollen. Dabei geht es keinesfalls darum, zu verleugnen: Es gibt „Schlepper“, die ihre Dienste kommerziell anbieten und dabei den Tod von Flüchtenden in Kauf nehmen. Zahlreiche Menschen, die ihre „Reisen“ überlebten, bezeugen das. Wenn allerdings von den „bösen Schleppern“ die Rede ist, geht es in der Regel nicht um die Aufklärung von tatsächlichen Geschehnissen oder um den Schutz derer, die in Gefahr sind. Dass die schrecklichen Bedingungen, unter denen viele Menschen gezwungen sind, ihre Einreise in die EUStaaten zu versuchen, sich auch und insbesondere aus der Kriminalisierung von „Schlepperei“ und illegalisierten Grenzübertritten ergeben, läge auf der Hand. Da im common sense aber stets der „Schlepper“ bereitsteht, um als absoluter Bösewicht der Grenzabschottung seinen Dienst zu erweisen, wird ein wirkliches Nachdenken über die Realitäten von Flucht und Migration überflüssig.

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