Karōshi

Von Pit Kühnöhl

Arbeit macht die Menschen kaputt. Nicht nur durch einstürzende Fabrikbauten, sondern auch durch den allgegenwärtigen Zwang zur maximalen Selbstausbeutung, der im Gewand angeblicher Freiheiten daherkommt. Wird es da nicht langsam Zeit, den Arbeitsfetischismus selber zu zerstören?

Arbeit ist die Geißel der Menschheit. Schon rein etymologisch geht das Wort „Arbeit“ in vielen Sprachen auf „Leid“ und „Qual“ zurück oder ist mit diesen Begriffen verwandt. Arbeit macht krank, Arbeit tötet. An den Folgen der Arbeit sterben jährlich mehr Menschen als in allen aktuellen Kriegen zusam- men. So spricht eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO aus dem Jahr 2015 von 2,3 Millionen Menschen, die weltweit jedes Jahr bei direkten Arbeitsunfällen ums Leben kommen. Die meisten davon im sogenannten Globalen Süden, in der kapitalistischen Peripherie. Das sind Bergleute, die in Minen eingeschlossen bleiben, Bauarbeiter, die in Qatar von den Gerüsten der Fußballstadionneubauten stürzen oder Näherinnen in Bangladesch, die in den Trümmern der einstürzenden Fabrikgebäude der Billigkleiderketten erschlagen werden. All jene, die an den Spätfolgen ihrer Arbeit sterben, sind in diesen 2,3 Millionen noch gar nicht
berücksichtigt: Die Menschen, die mit den giftigen Farbstoffen der Designerkleidung großer europäischer Modelabels in Kontakt kommen, die mit Säuren arbeiten müssen, um der seltenen Erden für unsere Mobiltelefone sowie für die Akkus der ach so sauberen Elektroautos zu gewinnen. Oder die Menschen, die auf den Soja-Monokulturen im brasilianischen Regenwald Pestizide und Düngemittel einatmen müssen, für Soja, das in Europa und Nordamerika bei der industriellen Fleischproduktion verfüttert wird.

Maximaler Burnout

In den Metropolen der kapitalistischen Gesellschaft, also in Nordamerika, in Japan und in Mitteleuropa, schreitet die Deindustrialisierung immer weiter voran und die Nachfrage nach Arbeit verlagert sich auf den Dienstleistungssektor. Dadurch macht die Arbeit zunehmend anders kaputt. Dank jahrzehntelanger Arbeitskämpfe hat das nahezu klassische Proletariat der Putzkolonnen oder der Amazon-Lageristen weniger Gifte und schlechte Bausubstanz zu ertragen, stattdessen steigen Stress und Überarbeitung in vielen Bereichen. Überarbeitung, um sich das Glücksversprechen des Kapitalismus erfüllen zu können, dem man sich hier so nahe glaubt – und das für die meisten dennoch unerreichbar bleibt.

Überarbeitung für das neue Handy, für die neue Designerjeans, für den neuen Sportwagen – für all die Dinge, die auf der anderen Seite der Welt unterunmenschlichen Bedingungen hergestellt werden, die sich die hiesigen Überarbeiteten aber dennoch häufig nicht leisten können. Und wenn die Überarbeiteten die Illusion des Glücksversprechens erkennen, dann schimpfen sie leider viel zu oft anstatt über die Mechanismen des kapitalistischen Systems über die „Gier“ der Unternehmerinnen und Unternehmer, anstatt über die eigene, schimpfen über „die da oben“ und wälzen die eigene Verantwortung ab. Sie schimpfen aber auch, wenn die Unternehmen nicht im Spiel von Wachstum und Gewinn mithalten können, weshalb diese Jobs kürzen oder Gehälter streichen und jene Überarbeiteten dann halt auf der Straße stehen und nicht mal mehr der Illusion des Glücksversprechen hinterherlaufen können. Also unterwerfen sie sich eben dem Diktat der Arbeit, gehen bis an ihr Limit und verharren bestenfalls in verkürzter Kapitalismuskritik beim abendlichen deutschen Kabarettprogramm.

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